Vom Senden und empfangen – Vier neue Nachrichten
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Die letzten zwei Sätze verhallen. Ruhe. Das Buch zuklappen. Vier neue Nachrichten wurden versendet, was ist die Botschaft und wo versteckt sie sich. Der Empfänger sitzt da, ruhig und nervös, verwirrt und begeistert zugleich.
Dieser kleine Beitrag kann nur in die Hose gehen, denn er wird geschrieben trotz des inneren Drangs, ihn noch nicht zu schreiben, weiter über das Gelesene zu sinnieren, das abschließende Urteil aufzuschieben. Aber dem Prokrastinationsteufelchen wird heute in den Hintern getreten. Diese Nachricht muss raus. Höre sie, wer sie zu hören bereit ist.
Ein seltsames Quartett
Es sind vier sehr unterschiedliche Nachrichten, die Joshua Cohen in die Welt sendet. In der ersten, Emission, versucht ein mäßig erfolgreicher Drogendealer einen Blog-Beitrag auszumerzen, in dem geschmacklose Sex-Details über ihn verbreitet wurden. Eine düstere Geschichte über die Macht des Internets als virale Schmutzschleuder und Rufmordinstrument, verschachtelt erzählt, aber durchaus die Geschichte mit der noch konventionellsten Erzählstruktur.
Weitaus komplexer geht es bereits In McDonald’s zu. Hier werden die Nöte und Ängste eines Lohnschreibers für die Pharmaindustrie ausgebreitet. Der Erzähler schreibt und bearbeitet Texte für Beipackzettel, sieht sich in diesem Monolog aber eher als Autor eines blutrünstigen Thrillers und diskutiert diesen nichtgeschriebenen Roman mit nichtexistenten Personen und verzweifelt an der Überlegung, ob eine große Firmen, ein geschützter Markenname, in einem literarischen Werk genannt werden darf oder nicht.
Der Uni-Bezirk berichtet von einem Seminar über kreatives Schreiben, deren Mitglieder, literarisch zweitklassig und eher talentlos sind. Angetrieben von ihrem einst berühmten, nun aber selbst erfolglosen Professor, finden die Schreibwilligen Erfüllung im Handwerk; der realen Arbeit mit Händen und Werkzeugen. Statt zu schreiben, bauen sie ein Haus, eine Kopie des Flatiron Buildings in New York, sie werden alle reich und wohlhabend, als Handwerker, das Schreiben geben sie auf. Nur das Gebäude bleibt, auch eine Generation später ist es Segen und Fluch zugleich.
Gesendet ist die längste und komplexeste Geschichte des Quartetts. Sie beginnt als slawisches Volksmärchen, wird zum Bericht über ein osteuropäisches Mädchen in billigen Pornostreifen für den amerikanischen Markt, um am Ende in einem fiebrigen Albtraum zu münden, in dem ein russischer Bär als Pornodomina verkleidet den Erzähler narkotisiert. Dem erscheinen darauf im Traum alle Mädchen, deren Videos er jemals im Internet auf Porno- und Sexplatformen betrachtet hat.
Das Internet und die Unfähigkeit zu schreiben
Alle Geschichten erzählen davon, wie das Internet das Leben radikal verändert hat und weiter verändert, ganz nebenbei, ohne dass es uns wirklich auffällt. Der Einfluss auf die Arbeit, den Sex, die Familie, auf das Leben schlechthin ist schleichend. Das Netz ist im wahrsten Sinne weltweit gespannt, durchzieht und unterwandert die Gesellschaft, verändert zunehmend Gewohnheiten, Zukunftspläne, Wünsche, Verhaltensmuster und… unsere Sprache.
Deshalb geht es in Cohens Kurzgeschichten immer auch um die Unfähigkeit zu schreiben, die fehlende Kraft, das auszudrücken, was bewegt, das zu bennenen, was wichtig ist und was belanglos. Die erzählenden (und schreibenden) Figuren sind hochambitioniert, aber zum Scheitern verurteilt.
Cohen ist ein Virtuose der Sprache. Seine Jonglage mit Metaphern, Bildern, Halb- und Nebensätzen verschlägt dem Zuschauer/Leser den Atem. Das braust dahin, fliegt mit atemberaubender Geschwindigkeit durch den Raum, wirkt schwerelos und elegant. Beim zweiten Blick aber wird deutlich, dahinter steckt auch sehr viel Krafthuberei. Cohen spielt selbstverliebt mit allen sprachlichen Finessen, mit denen ein Autor spielen kann; mit allen auf einmal. Das ist Lust und Problem zugleich. So brilliant die Geschichten und Figuren konstruiert sind, sie berühren nicht wirklich; alles spielt sich in künstlicher Distanz ab, wie hinter einer Mattscheibe oder, um im Bild zu bleiben, wie hinter dem Display eines Computermonitors.
Diese Ambivalenz ist es, die den Leser ebenso fasziniert wie ratlos zurücklässt. Cohens Texte protzen mit allen Stilmitteln, die sich mit Hilfe des Werkzeugkastens des New Creative Writing basteln lassen, und gleichzeitig sind sie ironische Brechungen eben dieser Glitzerliteratur. Sie schwanken hin und her zwischen ernstem Anspruch und Ironie, Meisterschaft und Persiflage. Ein ähnliches Gefühl beschleicht mich, um persönlich zu werden, auch, wenn ich Romane von Thomas Pynchon, frühe Werke von Dave Eggers oder (alle) Texte von David Foster Wallace lese. Mit diesen Autoren wird Joshua Cohen mittlerweile von vielen Kritikern in einem Atemzug genannt. Schwer zu beurteilen, ob sie Vorbilder sind oder nicht; in jedem Fall erzeugen Cohens Texte ähnliche Wirkung.
Man muss sich bewußt auf den formalen Übereifer dieser Art postmoderner Literatur einlassen. Sie erzeugt absichtlich eine Ambivalenz von Ratlosigkeit und Faszination. Die muss der Leser ertragen, um sie lieben zu können. Wer das nicht mag, wird von Cohen enttäuscht sein. Ich mag es; sehr sogar.
Mehr Cohen – schon bald
Wir sind sehr stolz, dass es uns gelungen ist, Joshua Cohen mit vier seiner Romane für unser Haus zu gewinnen. Die Übersetzungen brauchen natürlich ihre Zeit. Wir beginnen deshalb in unserem Jubiläumsjahr mit einem Erzählband – quasi ein Gruß aus der Küche, von dem wir annehmen, dass er Ihnen Appetit auf sehr viel mehr machen wird.
Das schreibt der Verleger Klaus Schöffling (nochmals Glückwunsch zum 20-jährigen Verlagsjubiläum) in einem Prospekt, mit dem Vier neue Nachrichten angekündigt wurden. Gleichzeit wird der Editionsplan für vier Romane von Joshua Cohen vorgelegt. Er reicht bis ins Jahr 2019.
Leider wird nicht verraten, ob nach Vier neue Nachrichten auch alle weiteren Texte von Ulrich Blumenbach übersetzt werden. Cohens Kurzgeschichten sind mir im Original zwar unbekannt, aber der Fluss, der Rhythmus, der Witz der Sprachspiele und der Reichtum der Anspielungen in der deutschen Fassung sind so überzeugend und homogen, dass ich auch ohne direkten Vergleich bereit bin, Blumenbach (wieder einmal) höchstes Lob zu zollen. (Nebenbei: er ist dank seiner Übersetzung von Wallaces Infinite Jest ohnehin einer meiner großen litererarischen (Übersetzer-)Helden auf Lebenszeit.)
Wer neues entdecken möchte, bereit ist, sich auf sehr ungewöhnliche Texte einzulassen, der greife bei Joshua Cohen und Vier neue Nachrichten unbedingt zu. Ich jedenfalls habe das Bändchen, verwirrt und fasziniert, verschlungen und genossen und freue mich schon jetzt auf die anderen Bücher Cohens, die mir Schöffling & Co. in den kommenden Jahren schenken wird.

Four New Messages
Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach
Gebunden, 272 Seiten
Frankfurt/M.: Schöffling & Co. 2014
Mehr Informationen und eine Leseprobe auf den Seiten des Verlages
15. Oktober 2014 @ 09:11
Da hast Du mich mit Deiner Besprechung ja sehr neugierig gemacht auf das Buch. Das Thema finde ich sehr interessant – wie das Internet das Leben verändert -, bei Deinen Schilderungen von der Umsetzung in Geschichten bin ich ja recht skeptisch, ob das was ist für mich. Ich bin auf jeden Fall mal sehr gespannt und hoffe, ein netter Nachbar hat das Buchpaket angenommen während des Urlaubs, sodass die “Vier Nachrichten” schon zuhause auf mich warten.
Viele Grüße, Claudia
16. Oktober 2014 @ 08:52
Liebe Claudia, würde mich über eine Nachricht/Reaktion nach deiner Lektüre der „Nachrichten“ freuen.
Das Internet mit seinen Mechanismen und Lebensveränderungsstrategien spielt keine vordergründige Rolle, ausser vielleicht in der ersten Geschichte. Es geht um schleichende Einflüsse, unbemerkte, die unter der Oberfläche wirken. Wir denken, schreiben, leben anders als noch vor 20-25 Jahren, Verben wie surfen, googlen, posten und bloggen scheinen vertraut, sind aber eigentlich brandneu. Daran ist das Internet (seine Verfügbarkeit, seine ständige Präsenz, die Selbstverständlichkeit, mit der wir es nutzen) nicht unschuldig. Wie das funktioniert, ohne das wir es merken, fängt Cohen durchaus geschickt ein. Es sind tatsächlich Nachrichten, die man zwei bis dreimal empfangen muss, um bis in ihren Kern vorzudringen.
Du merkst, ich bin wirklich infiziert. lg_jochen
(Viel Spaß mit Cohen)
15. September 2014 @ 11:15
Erst mal vielen Dank für das Lob, lieber Herr Kienbaum. Und zur Frage nach den weiteren Übersetzungen: Ich fange demnächst mit “Cadenza for the Schneidermann Violin Concerto” von 2007 an und hoffe noch sehr, Cohens Haupt- und Meisterwerk, den 820-Seiten-Roman “Witz” von 2010 übersetzen zu können. Der Kurzroman “A Heaven of Others” (2008) wird meines Wissens vom Gaddis- und Wallace-Übersetzer Marcus Ingendaay übersetzt, der neue, auch in den USA noch nicht erschienene Roman “The Book of Numbers” meines Wissens vom Vollmann-Übersetzer Robin Detje.
15. September 2014 @ 12:38
Lieber Herr Blumenbach, danke für diese Informationen.
Marcus Ingendaay, Robin Detje und Sie; großartige Riege! Freue ich mich ab sofort doppelt auf die kommenden Cohen-Übersetzungen. Bin sehr gespannt.
lg_jochen
14. September 2014 @ 22:31
Mich kannst du mit dieser Rezension ganz und gar nicht abschrecken, ich stehe auf derartige postmoderne Spielereien (einer meiner All-Time-Favorites: Jonathan Safran Foer, mit dem Cohen zuweilen ja auch schon verglichen wurde). 😉 Hast du vielleicht ein, zwei Zitate parat, die dich besonders fasziniert und/oder ratlos zurückgelassen haben?
Am Mittwoch ist Cohen hier in Frankfurt, bei der Gelegenheit werde ich auch mal in den englischen Originalen seiner anderen Werke blättern. Mich interessiert sehr, was er jenseits dieser vier Nachrichten noch so geschrieben hat, zumal ich ohnehin keine glühende Verehrerin von Kurzgeschichten bin…
15. September 2014 @ 10:42
Ein, zwei Zitate? Schwierig! Kurze Ausschnitte spiegeln nicht wirklich die Qualität der Texte, wären eher irreführend. Es ist der Fluß als Ganzes, der fasziniert. (…) Nun, vielleicht doch ein (ganz wahllos herausgegriffenes) Beispiel für die Art und Weise, wie Cohen immer wieder seine Texte ironisch bricht (und ad Absurdum) führt.
„xxx – (Hinweis für einen Videografen) – Er wacht im Wald auf. Er ist dunkel und dicht, Grün und Braun strudeln wie in einer verstopften Toilette. Von den Bäumen, jede Menge Bäumen, hängt Altpapier. Schweißig angebotene Verdüren wie nicht gewachsen, sondern angelüstert, Bouquets aus losgelassenen Büschen. Pubertierende Stängel wachsen zwischen Pfotenabdrücken, tief, aber mit flachen Lachen wie Quellen mit Zehen, mit Klauen, stehende Nässe, Feuchtigkeit waltet, die Stängel verfaulen. Zeichen der Entwurzelung. Große und nasse Bäume – wann hat es denn geregnet? – die Wurzeln in der Luft entblößt wie rostige Streben, wie Gerüste. Hügel in der Nähe wie Trittsteine zu Hügeln, wie Steine, gelrönt mit Baumwänden, ein Baumhimmel schirmt die Sonne ab. (Ich tue hier mein Bestes. In einem Original würde das alles so viel besser klingen.)
Hier folgt ein Absatz und ein gewaltiger Sprung zu „something completely different“. Cohen will nicht virtuos sein, er spielt Virtuosität; das Verrückte daran; das ist virtuos. Das macht die Ambivalenz der Texte aus. Diese Form des literarischen Jonglierens fasziniert mich und verwirrt mich und ist großer Spaß zugleich.
Abschrecken? Nein, abschrecken lag mir fern! 😉 Wenn Du, wie du schreibst, Foer magst, dann wirst du auch Cohen mögen. Gleiches gilt für Wallace, den frühen Eggers und die Altmeister des Genres Pynchon und Gaddis. (Obwohl, diese literarische Schubladenpackerei immer ein wenig gaga ist!) Ich persönlich allerdings „fahre voll ab auf die Jungs“, um es mal supersalopp zu formulieren, und bin deswegen sehr, sehr gespannt auf die Romane von Cohen, die Schöffling in Aussicht stellt. Ich kenne aber auch Menschen, die finden Wallace z.B. unerträglich, borniert, aufgeblasen und todlangweilig. Denen würde ich von Cohen vehement abraten, definitiv.
lg_jochen
P.S.: Den Auftritt von Cohen beim Lit.-Fest Berlin an Samstag habe ich leider verpasst, ich musste arbeiten (arrg!); ich denke, Du solltset ihn am Mittwoch in Ffm. nicht verpassen. Wünsche schon jetzt viel Vergnügen.
17. September 2014 @ 13:13
Ach, schön, danke vielmals! Das Zitat ist tatsächlich spannend. Mal sehen, was heute Abend bei der Lesung so passiert und welches Buch letztendlich in meinen Händen landet. 😉
14. September 2014 @ 11:53
Vielen Dank für die Rezension, ich war schon sehr gespannt darauf! Und nun hast du mir – wie der Vertreter zum damaligen Zeitpunkt- ja schon ein bisschen den Mund wässrig gemacht. Ich hoffe, ich komme bald mal dazu, mir Cohen anzusehen! Liebe Grüße