Mary Grey vs. Elisabeth I. – Inger-Maria Mahlke hat (k)einen historischen Roman geschrieben
Inger-Maria Mahlke ist von der Kritik überschwenglich gelobt worden für ihren Roman Silberfischchen und andere Texte, in denen sie beschreibt, was passiert, wenn Menschen zu dicht aufeinander rücken, wenn Nähe und Abhängikeiten in Konflikte münden. Nun hat die Berliner Autorin einen Ausflug ins elisabethanische England des 16. Jahrhunderts gewagt. Wie ihr wollt, der Roman mit der schelmischen Shakespeare-Paraphrase im Titel ist auch nominiert für den Buchpreis 2015. Auf den letzten Drücker gewissermaßen, kurz vor der Preisverleihung, möchte ich meine Meinung zum Roman in einer Kurzkritik doch noch kundtun.
Ich habe Wie ihr wollt durchaus mit einer gehörigen Portion Neugier zu lesen begonnen. Ich wollte herausfinden, ob das wirklich mehr ist, als lediglich ein geschickt konstuierter, historischer Roman über die Tudors. Doch relativ schnell überkam mich das ungute Gefühl, die Lektüre des Romans beenden zu müssen. Buchpreisblogger-Kollege Tobias Nazemi hat unlängst in seinem buchrevier 5 Gründe genannt, einen Roman vor dem Ende anzubrechen. Von diesen Gründen trifft merkwürdigerweise keiner so recht auf meine ablehnende Haltung gegenüber Mahlkes Roman zu. Ich hatte keine Vorurteile im Vorfeld, ich hatte durchaus Interesse am Thema, ich fühlte mich nicht für dumm verkauft und Wie ihr wollt ist mit Sicherheit auch nicht nach »Schema F gestrickt«. Bleibt Punkt Nr. 5: Mag sein, dass der zutrifft. Vielleicht war es das falsche Buch zur falschen Zeit. Ich habe Mahlkes Roman dann doch zu Ende gelesen, die Buchbloggerehre gebot es mir. Doch das zwiespältige Urteil blieb.
Wie ihr wollt stellt eine Zurückgewiesene, eine Ausgestoßene in den Mittelpunkt. Wie historisch bewanderte Leser wissen dürften, brach nach dem Tode Heinrich VIII. in England eine blutige Fehde um die Thronfolge aus. Nicht zuletzt die vielen Ehen des verblichenen Monarchen sorgten für genealogische Verwicklungen. Es waren am Ende nur noch Frauen, die sich auf köngliche Linie berufen konnten, und von denen setzte sich die eiserne Jungfrau Elisabeth I. schließlich durch. Ihre Cousine, die kleinwüchsige Mary Grey blieb auf der Strecke. Sie macht Mahlke zur Hauptfigur des Romans, einem vertrackten Kammerspiel, das im wesentlichen die Zeit von zwei Monaten Ende des Jahres 1571 umspannt. Mary, das Wesen, wie sie wegen ihrer Behinderung verächtlich von Elisabeth genannt wird, steht unter Hausarrest, de facto ist sie verbannt. Existentielle Geldnöte plagen sie, die Angst vor der Zukunft. Lediglich über ihre Zofe Ellen, mit der sie ein ambivalentes Hassverhältnis verbindet, und das Küchenpersonal hält sie den Kontakt zur Aussenwelt aufrecht. Sie sitzt in ihrem Zimmer und schreibt, protokolliert, berichtet, versucht ihre Rehabilitation in die Wege zu leiten. Vergebens. Sie bleibt ausgestoßen und ungehört.
Für ihre Einblicke in die Ränke, die Machtspiele, die Zwänge und Abhängikeiten der Zeit, bei der Männer wegen des fehlenden, königlichen Blutes nur eine untergeordnete Rolle spielen dürfen, nutzt Mahlke eine beinahe freche und schnoddrige Sprache. Sehr knapp ist ihr Stil, pointiert und sehr modern. Dieser gelungene Anachronismus zur beschriebenen Epoche ist reizvoll und überzeugend. Und dennoch; Irgendetwas fehlt mir. Mahlke weigert sich explizit, ihr Buch einen historischen Roman zu nennen, und ihre Absicht dahinter durchschaue ich wohl: Sie schildert den verzweifelten Kampf einer ausgestoßenen Person gegen die Widrigkeiten der Verhältnisse, gegen Fremdbestimmung und Unterdrückung, und gegen das, was wir heute »Mobbing« nennen würden. Aber warum müssen wir uns für dieses Emanzipationsdrama in die Wirren der Tudorzeit begeben, ins ferne England des 16. Jahrhunderts?
So virtuos Inger-Maria Mahlke auch mit dem sorgfältig recherchieten historischen Material jongliert, so farbig auch das Colorit sein mag und so geschliffen-prägnant ihre Sprache, es fehlt, weil eben die historischen Fakten bekannt sind und im gewählten Rahmen nicht mutwillig geändert werden können, das überraschende Moment. Ein zeitgenössischeres Setting hätte vielleicht mehr Spannung hinein gebracht in den beschriebenen Kampf einer Frau um Freiheit und Selbstbestimmung. So ist Wie ihr wollt ein durchaus lesenswerter und gut geschriebener, auch kurzweiliger Roman, zumal für Freundinnen und Freunde historischer Stoffe, aber in meinen Augen kein wirklicher Anwärter auf den Buchpreis als »bester deutschsprachiger Roman des Jahres«.
Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch Buchpreisblogger-Kollegin Birgit Böllinger.