Mit Karl Philipp Moritz durch Italien
Karl Philipp Moritz ist ein Klassiker, der lange Zeit im langen, so vieles überdeckenden Schatten Goethes verborgen lag und unentdeckt blieb. Dabei hat Goethe seinerzeit den jungen Moritz hoch geschätzt. Getroffen haben sich beide in Italien, genauer in Rom; unabhängig voneinander hatten sie ihre Italienreisen angetreten. „Moritz ist hier. Er ist wie ein jüngerer Bruder von mir
“ notierte Goethe in seine Reiseaufzeichnungen und auch Moritz schreibt begeistert von der Begegnung mit dem großen Kollegen aus Weimar. Beide verfassten anschließend umfangreiche Berichte über das Sehnsuchtsland Italien und über den Verlauf ihrer Reisen. (wie übrigens viele andere Italientouristen vor und nach ihnen.) Aber so lebendig, anschaulich und abwechslungsreich wie bei Karl Philipp Moritz wurde Italien nie zuvor und danach beschrieben – auch von Goethe nicht. Die Andere Bibliothek hat dem Moritzschen Bericht eine schön gestaltete Neuausgabe gewidmet.
Die erste Station auf italienischem Boden ist Verona, von hier aus zieht es Moritz dann weiter nach Süden, entlang der Adriaküste geht es (endlich) nach Rom, später auch nach Neapel und Pompei, auf den Vesuv und auf Capri, nach Sorrent und Florenz. Natürlich möchte Moritz in erster Linie der Antike nahe kommen, doch weit mehr als Goethe interessieren ihn auch die Menschen, das Alltagsleben, die Sprache und die Gebräuche. Dabei entsteht ein faszinierendes Mosaik im dauernden, schnellen und sprunghaften Blick- und Szenenwechsel: Kinderspiele, Stierkämpfe, Karneval, komische Heilige, Diebe, Bettler, Aberglauben, Stegreifdichter, Geräusche und Lärm, Landschaften, Panoramen, merkwürdige Reisebegleiter, Kutscher und Führer. Anders als Goethe ist Moritz die Idealisierung fremd, sein Reisebericht ist direkt und ungefiltert, liest sich wie eine Postkartenfolge, an die lesende Mit- und Nachwelt eilig von unterwegs verschickt.
Ich rate dazu, diese Ausgabe der Italienreise auf die eigenen Erkundungen in Rom oder anderswo mitzunehmen, auch wenn der Band das Urlaubsgepäck zsätzlich belastet sollte. Schon die in den Text eingeschobenen Fotografien von Alexander Paul Englert beweisen, wie viel von dem, was Moritz glühend beschreibt, noch da ist. Sie verführen den Leser von heute dazu, sich genau umzuschauen und sie helfen, das, was Moritz entdeckte, gut 230 Jahre späte in anderen zeitgeschichtlichen Kontexten wieder oder neu zu entdecken. Dem Reisebericht von Karl Philipp Moritz ist ein ebenso lesenswerter Essay von Jan Röhnert beigegeben, in dem unter anderem auch Bezüge zu Moritz‘ übrigen Werken hergestellt und verdeutlicht werden.
Die „Reisen eines Deutschen in Italien“ von Moritz und die „Italienische Reise“ von Goethe sind zusammen mit Sicherheit die Quintessenz des deutschen Erfahrungsschatzes aus Italien am Ende des 18. Jahrhunderts. Und beide sind heute immer noch sehr lesenswert … Moritz vielleicht sogar etwas mehr als Goethe.
P.S.: „Reisen eines Deutschen in Italien“ (Die Andere Bibliothek Bd. 337) ist nicht nur ein überaus lesenswertes, sondern auch – und das gibt es in der monatlichen Flut der Neuerscheinungen immer seltener – ein sehr schön gestaltetes Buch: limitierte und nummerierte Auflage; zweifarbig gedruckt auf geglättetem, holzfreiem Designpapier; farbiges Vor- und Nachsatzpapier; gebunden in leuchtendes Natural mit offener Oberfläche und bedruckt mit italienischen Motiven; geprägtes Etikett, Fadenheftung und Lesebändchen. Buchgestalter war Wim Westerveld.

Mit einem Essay bereichert von Jan Röhnert
und Fotografien von Alexander Paul Englert
Gebunden, im Halbschuber, 780 Seiten
Berlin: Die Andere Bibliothek 2013
Mehr Informationen zum Buch auf der Webseite des Verlages