Das Salz in der Wunde oder: Die Revanche des Parvenüs
Paris in den 1920er Jahren; Dieudonné Crouzon, ein junger, hoffnungsvoller Jurist kurz vor der Promotion, genießt das Leben im Kreis ein Clique wohlhabender Gleichgesinnter. Doch dann beschuldigt ihn unvermittelt einer dieser Freunde des Diebstahls, was freilich nicht stimmt. Dennoch will niemand Crouzons offensichtliche Unschuld erkennen, das Gerücht und die Fama wiegen schwerer als die Wahrheit. Crouzon verlässt zutiefst gedemütigt Paris und geht in die Provinz. Beseelt vom Gedanken der Rache macht er Karriere, zunächst als Wahlkampfhelfer, dann arbeitet er sich hoch vom begabten Journalisten zum Verleger, dann weiter zum Werbefachmann und millionenschwerer Kaufmann, schließlich reüssiert er sogar als Abgeordneter. Das Salz in der Wunde von Jean Prévost ist ein Klassiker der französichen Moderne, der nun erstmals in deutscher Übersetzung erschienen ist.
Der Emporkömmling und das Ressentiment
Dieudonné Crouzon ist ein typischer Arrivist, eine wohlvertraute Figur der französischen Literatur besonders des 19. Jahrhunderts. Bei Balzac, Zola und Maupassant etwa übernimmt der Emporkömmling Hauptrollen, aber auch Thomas Manns Felix Krull ist so einer. Prévost holt nun seinen Arrivisten ins 20. Jahrhundert, in die Zeit zwischen den Weltkriegen. Es sind die Jahre der Weltwirtschaftskrise, in der Niedergang und Aufstieg untrennbar miteinander verbunden sind.
Dieudonné setzt sich mit robusten Ellenbogen durch, scheut selbst vor Betrug und Gewalt nicht zurück, zeigt aber genauso Gefühl. Nicht selten rührt ihn die eigene Feingeistigkeit zu Tränen. Kurz nur sind diese Momente der latenten Sentimentalität und Reue, aber entscheidend für die innere Entwicklung und Glaubwürdigkeit Crouzons. Es sind Augenblicke, in denen das Ressentiment, also die eigene Ohnmacht gegenüber der erlittenen Ungerechtigkeit, die Sucht nach Rache umkehren und regulieren. So ist Dieudonné eben auch Moralist, obwohl ihm das eigentlich wiederstrebt.
Nüchterne Sachlichkeit und eine traurige Hochzeitsnacht
Prévost wagt keine Sprachexperimente. Surrealistischen Revolutionen, wie sie Breton oder Aragon zur gleichen Zeit anzetteln, geht er aus dem Weg. Auch die formalen Techniken eines Joyce meidet er, obwohl Prévost als ausgewiesener Kenner der literarischen Szene Paris’ die angesprochenen Autoren persönlich kannte und ihre Arbeiten sehr schätzte. In Das Salz in der Wunde bleibt Prévost dem Realismus verpflichtet.
Die Geschichte vom Aufstieg des Dieudonné Crouzon ist keine psychoanalytische Studie, meidet sterotype Stufen, wie sie der klassiche Entwicklungsroman kennt. Die Geschichte wird sprunghaft erzählt und collageartig konstruiert. Neutral, beinahe distanziert folgt der Erzähler Crouzon durch seine Machenschaften, ohne Wertungen. Rabiate Szenen, auch gewalttätige, werden, ebenso wie Crouzons Momente der Selbstreflexion und Nachdenklichkeit, mehr protokolliert, statt auserzählt.
Die Reportage über den sorgfältig geplanten Aufstieg eines Arrivisten im Stil der Neuen Sachlichkeit allein könnte vielleicht ermüden, wäre da nicht zusätzlich diese vertrackte Liebesgeschichte mit Anne-Marie. Prévost stellt seinem Helden eine ebenbürtige Frau an die Seite. Wie sich diese beiden ebenso feinnervigen wie berechnenden Seelen finden, wie sie die traurigste Hochzeitsnacht der Literaturgeschichte erleben und sich distanziert umkreisend langsam zum Kern, zur Erfüllung in der Liebe vorarbeiten, gehört zu den größten Momenten des Romans. Hier finden zwei verletzte Herzen erst unter Mühen zusammen, weil sie sich ihre Verletzungen nicht gegenseitig eingestehen wollen, obwohl sie sie ständig offen vor sich hertragen. Beide, Dieudonné und Anne-Marie, sind auch in der Liebe zuvorderst Pragmatiker. Erfüllung finden sie in Tränen, die sie über den eigenen Schmerz vergießen, einen Schmerz, den sie nur spüren. weil er im Gegenüber reflektiert und gesteigert wird. Das Körperliche ordnen sie unter. Sie sind ein Paar, das eher wirkt wie Schwester und Bruder, von einem Hauch Inzest umweht, nur ohne Sex.
Der Autor und seine Figur
Jean Prévost hatte ein erignisreiches, erfolgreiches, aber leider kurzes Leben. Er wurde 1944 als Kämpfer der Restistance von einem deutschen Wehrmachtkommando in einem Hinterhalt erschossen. Da war er 43 Jahre alt. Vor dem Krieg hatte er sich als Journalist, Kritiker, Literaturwissenschaftler und Autor einen Namen gemacht. Er war ein begeisterter Sportler, soll Ernest Hemingway bei einem Boxkampf sogar die Finger gebrochen haben. Prévost liebte den rauen Sport, die Verausgabung des Körpers im Wettstreit Mann gegen Mann, für ihn war das ein lebensnotwendiger Ausgleich zur geistigen Arbeit. Zielstrebig und scharf in seinen Urteilen konnte er sein. Wie ein Stier, so der Philosoph Alain, sei er auf jede Idee losgestürmt. Doch er hatte auch sehr sensible Seiten und ist in vielem seiner Romanfigur Dieudonné Crouzon sehr ähnlich gewesen. Dennoch ist Das Salz in der Wunde kein autobiographischer Roman.
Trotz aller zahlreicher autobiographischer Bezüge ist der Text in erster Linie eine paradigmatische Geschichte eines Arrivisten, gleichzeitig eine scharfe Analyse der Mechanismen der Wirtschaft und der Werbung, der Macht des Geldes und der Medien. Manches wirkt in dieser unterschwelligen Kapitalismuskritik etwas holzschnittartig, und nicht selten werden Nebenfiguren zu Stichwortgebern und Statisten im großen Drama des Rachefeldzug degradiert. Ein wenig mag dies dem historischen Abstand geschuldet sein, 1934 hatte das Buch sicherlich mehr Wucht als heute. Doch selbst wenn Das Salz in der Wunde nicht zwingend als literarische Sensation oder gar Herausforderung eingeordnet werden muss, und in einigen Passagen sprachlich nicht einmal besonders originell ist (wobei das nicht der Übersetzung von Patricia Klobusiczkys anzukreiden ist, sondern dem Original), eine lohnende Entdeckung ist der Roman allemal. Jean Prévost beweist sich als guter Plotter, der retardierende und akzelerierende Momente geschickt zu positionieren weiß. Er hat es verdient, dass man sich seiner wieder erinnert. Das Interesse, mehr von diesem Autor zu erfahren wird geweckt. Selbst in seiner Heimat Frankreich zählt Prévost zu den zu unrecht lange Vergessenen.
Die Ohnmacht im Ziel
Am Ende erreicht die Ranküne alle angestrebten Ziele. Crouzon kehrt nach Paris zurück, triumphiert und macht die Rivalen zu Handlangern, indem er sie für seine weiteren wirtschaftlichen und auch politischen Pläne einspannt. Das nächste Ziel wird gesteckt, Minister werden. Doch wirkliche Genugtuung oder gar erhoffter Seelenfrieden stellen sich nicht ein. Crouzons sublime Rache läuft aus in einer lähmenden und unbefriedigenden Leere. Was bleibt, ist nur noch die Vornehmheit eines Parvenüs.
Aus dem Französischen von Patricia Klobusiczky
Nachwort von Joseph Hanimann
Gebunden, 288 Seiten
Zürich: Manesse Verlag 2015