Punkt, Punkt, Komma, Strich – Das geheime Leben der Satzzeichen
Sehr seltsam. Seit Tagen halten mich Satzzeichen zum Narren. Komma, Punkt & Co. spuken und purzeln herum, in meinem Browserverlauf, bei Facebook und auf dem Büchertisch. Es begann mit dem Roman Simeliberg von Michael Fehr, einem existentiell-wuchtigen Schweizkrimi, dessen skurrilie Geschichte mich ganz ohne Interpunktion & Satzzeichen zu fesseln weiß.
Eine ausführliche Besprechung steht noch aus, doch schon ihre bloße Ankündigung auf der Facebookseite und ein knappes Lob fürs Buch sorgten für entrüsteten Widerstand bei einem Leser.
Geschmackssache. Katzen fressen die Mäuse roh, ich mag sie noch nicht mal gekocht….. (…) Für mich ist Interpunktion ein maßgeblicher Bestandteil des geschriebenen Wortes. Darauf zu verzichten, mag „künstlerischer Freiheit“ geschuldet sein, ist aber ein überflüssiger Willkürakt, der zu nichts führt. Aber natürlich ist das genauso subjektiv, wie mein Urteil über so Manches, was man in der Malerei „Kunst“ nennt.
Ein klarer Standpunkt, ja, und nachvollziehbar, aber so wird die Flinte ins Korn geworfen, bevor die Jagd beginnt. Ich dagegen bleibe neugierig auf formale Experimente. Die Lyrik kennt sie seit Dichter dichten.
Sie fallen auf, wenn man sie wegläßt; sind sie da, nimmt keiner sie wirklich wahr. Der Großteil aller literarischen Werke wimmelt nur so von Satzzeichen. Der Künstler Nicholas Rougeux zeigt, was passiert, wenn die Wörter drumherum ausgeblendet werden. Das Eröffnungskapitel von Moby Dick sieht dann so aus.
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Rougeux hat den visuellen Rhythmus der Interpunktion in einer ganzen Reihe wohlbekannter Klassiker untersucht und grafisch angeordent. Eine schöne Spielerei, und seine Poster sind durchaus schmückend.

Adam J. Calhoun ließ sich davon inspirieren und betrachtete daraufhin in seinen Lieblingsromanen entscheidende statistische Mittelwerte, nämlich Wörter pro Satz und Wörter pro Satzzeichen und visualisierte es in Wärmebildern der Interpunktion.

Rougeux und Calhoun haben sich auf englischsprachige Klassiker gestürzt. Syntax und Grammatik des Deutschen sind weitaus verschwenderischer mit Satzzeichen. Ähnliche Untersuchungen und Visualisierungen etwa für Der Zauberberg, Die Wahlverwandschaften oder Effi Briest sind mir nicht bekannt. Wäre eine künftige Aufgabe für Interpunktions-Tüftler.
Zu postulieren ist: Satzzeichen können Leben retten, wie mancherlei Kalauer oberleherhaft belegen.
Komm wir essen Opa.
Satzzeichen stiften Sinn, indem sie sich zwischen Wörter schieben, aber sie können auch ganz ohne Wörter drumherum erzählen. Mit Satzzeichen läßt sich sogar steonografieren, das behauptet und diese Kunst zur Perfektion gebracht hat Arno Schmidt.
»Äh=könn’ Sie mir vielleicht sagen ….?« : »,;. – : ! – : !!« – : »Ah : Danke schön ..!«
In dieser rätselhaften Passage aus dem Eingangskapitel Das Steinerne Herz (BA, I, 2) fragt der Erzähler Walter Eggers nach der Adresse des Ehepaars Thumann. Arno Schmidt übersetzt das (»obwohl ich mir zusätzlich=albern dabei vorkomme«) folgendermaßen ins Schrifthochdeutsch:
: »Geradeaus, rechts.« / : »Nicht doch: immer auf der Seite da!« / : »Zum Teufel nein, hundert Meter, und dann rennen Sie mit der Nase druff mensch!!!« (Daß noch hinzugedacht wird: »Meingott, ist der behämmert; hau bloß ab; die Sonne ist so schön: Typen gibt’s schon: (…) das versteht sich ja von selbst!) [Aus: Berechnungen III (BA, Supplemente, Band 1)]
Das spart Platz und Druckerschwärze und macht dem Schriftsteller das Leben leichter. Noch ein Beispiel … Eine wildgewordene Klammeranordnung aus Kaff auch Mare Crisium (BA, I, 3):
[ (((…..))). / ((…..)) / (….?) – : …! : !!! ]
Ein Mann ist auf dem Chaiselongue eingedöst, er erwacht langsam, zuerst die Klammern, die ja nur die stilisierte Hohlhand sind, hinter der Geheimeres liegt [ (((…..))). ]. Dreifach, die Punkte und wieder geschlossen, er schläft und döst, im nächsten Beispiel sind es nur noch zwei Klammern [ ((…..)) ], nicht mehr drei, die Schlafdecke ist bereist dünner geworden, wieder eine Pause dazwischen, im nächsten ist die Schlafdecke noch dünner geworden, nur noch eine Klammer [ (….?) ] und anstatt der fünf Punkte vier Punkte und ein Fragezeichen, es ist irgendetwas eingetreten, was ist, fragt sich der Schlummernde etwa unwillkürlich, das langsame Erwachen [ – : ! : !!! ], ein Doppelpunkt, ein Ausrufungszeichen und ein Doppelpunkt und drei Ausrufungszeichen, und nun folgt im Text die Erläuterung: »Klar, nichts, niemand, nirgends, nie; nichts, niemand, nirgends, nie, so brabbelt doch nur ein Motor«, und siehe da, er sieht die Geliebte vor der Haustür halten. [Aus: Fernsehinterview von Jürgen Müller für den NDR. (BA, Supplemente, Band 2)]
Nun, man mag das alles als alberne Spielerei abtun, die den Leser hoffnungslos im Stich läßt, oder als briliante Kunst betrachten. So oder so, die Satzzeichen, spuken als kleine Stiche und Brüche zwischen den Wörtern herum und sollten niemals abfällig als gering betrachtet werden. Punkt.