Zwei Fundstücke zu Unendlicher Spaß (am Geburtstag von Davis Foster Wallace)
Heute könnte David Foster Wallace seinen 54. Geburtstag feiern, hätte sich in seinem Leben nicht diese üble Sache eingenistet und ihn trotz heftigster Gegenwehr in die Ausweglosigkeit manövriert. Bereits wenige Zeilen von David Wallace haben (vor einger Zeit) ausgereicht, diesem Autor an den Haken zu gehen und zu verfallen. Sein Werk läßt mich seitdem nicht los. Waren es zunächst die Arbeiten für Zeitschriften wie Harper’s Bazaar, Vanity Fair oder den New Yorker, die mich faszinierten, allesamt Texte, die traumwandlerisch entlang einer imaginären, zwischen Essay und literarischer Fiktion gezogenen Grenze balancieren, so »schlug er mich vollends nieder« mit Infinite Jest, unbestritten sein Opus Magnum, das ihn nach Vollendung nahezu an den Rand der produktiven Unfähigkeit getrieben hat.
In der kongenialen Übersetzung von Ulrich Blumenbach erschien das Buch 2009 auf Deutsch; dieser Roman ist ein unendlich trauriger, niederschmetternder und gleichzeitig unendlich komischer Spaß, eine ebenso infame wie offenkundig komplexe Anstrengung, eine mögliche Welt vollständig in Literatur zu verpacken.
Unendlicher Spaß teilt die Leser in zwei Lager, auf der einen Seite die, die sich hingeben und verlieren, auf der anderen die, die sich verlieren und aufgeben; und immer wieder treffen sich beide Lager irgendwo in der Mitte zwischen den Extremen. Mein bescheidener Versuch, Unendlicher Spaß zu verstehen und zu beschreiben kam (und kommt) so daher:
Anlass für diesen Beitrag hier sind (neben dem Geburtstag Wallaces) zwei kleine Fundstücke im Netz. Das erste kommt vom Grafiker und Designer Sam Potts.
Auf diesem Poster hat Potts alle Figuren aus Unendlicher Spaß, ihre Beziehungen und Konstellationen in einem Diagramm zusammengeführt, (zumindest nahezu alle, denn der Geist fehlt, »weil er wie in Hamlet lahm ist und niemals spricht«). Leicht erkennbar die drei Epizentren der Handlung: das Ennet House, die Enfield Tennis Akademie und »Les Assasins de Fauteuils Rollents«. In der Tat, ich kenne kaum einen anderen Roman, der so viel handelndes Personal auf die Bühne stellt und durcheinander wuseln läßt.
Das »Infinite Jest Diagram« bietet Potts auf seiner Webseite als Poster (Maße ca. 90 x 60 cm) zum Kauf an oder als PDF zum kostenlosen Download, gewissermaßen als Vorschau. Alle Leser von Unendlicher Spaß wird das erfreuen, alle andern (vielleicht?) neugierig machen auf diesen Riesenroman.
Fundtsück zwei ist das »Infinite Jest Arbeitsexemplar« der Detroiter Künstlerin Corrie Baldauf. Sie hat sich dem Roman über die Farbreferenzen im Text genähert. Der Bezug zur Farbe und der Mechanismus, mit Klebeetiketten diese Bezüge zu markieren, habe ihr als Künstlerin geholfen, die Konzentration bei der Lektüre hoch zu halten. Das Ergebnis 2.600 Tags im Roman, ein Buch als künstlerisches Relikt einer monatelangen Aktion. Mehr Fotos finden sich auf der Webseite der Künstlerin und im Interview mit Hyperallergic (a forum serious, playful and radical thinking about art in the world today) lieferte Baldauf mehr Details zum Projekt.
Da liegt es: wie ein gedruckter Vorwurf, ein weißer Ziegelstein, eine Herausforderung. Es ist mehr als 1500 Seiten dick, ein Roman mit Anmerkungen, 388 an der Zahl, manche davon 20 Seiten lang. Es ist ein komplexes Buch, das habe ich aus vielen Rezensionen gelernt, der große Wurf des Schriftstellers David Foster Wallace, sein opus magnum. Es liegt vor mir auf dem Tisch. Ich wage kaum es aufzuschlagen, um seinen Zauber zu brechen, Verzweiflung nagt. Will ich, muss ich das wirklich lesen? — Ja!
(15. Dezember 2012)