Noch ein Bier in der Westend Klause – Auf den Spuren von Joachim Ringelnatz in Berlin
Biografen können gnadenlos sein. „Er war klein, hässlich und er sprach mit sächsischem Akzent.“ Das sagt Hilmar Klute über Joachim Ringelnatz. So gesehen sei sein Erfolg eigentlich rätselhaft, so Klute weiter. Ausschlaggebend sei wohl sein darstellerisches Talent gewesen, das habe seine Auftritte unverwechselbar gemacht und seinen Ruhm begründet. „Er war nicht einfach nur ein Clown; Ringelnatz war eine große Künstlerpersönlichkeit.“ War einmal ein Bumerang ist der Titel von Klutes Ringelnatz-Biografie, die vor einer Woche im Galiani-Verlag Berlin erschienen ist. Und in Berlin hat Joachim Ringelnatz auch seine letzten vier Lebensjahre verbracht und 1934 auf dem Friedhof an der Heerstraße, unweit des Olympiastadions, seine letzte Ruhestätte gefunden. Bei einem kleinen Spaziergang auf den Spuren von Ringelnatz im Berliner Westend hat Klute sein Buch vorgestellt. Dieser kleine Beitrag beweist, wie viel dennoch zu erzählen und (in Fotos) zu zeigen ist, obwohl Ringelnatz Berliner Zeit nur sehr kurz war.
Das Haus, in dem Ringelnatz und seine Frau 1930 eine schöne Atelierwohnung bezogen, existiert nicht mehr. Den Platz teilen sich heute zur Hälfte eine Baulücke und zur Hälfte ein viel später errichteter Neubau. Nach Berlin hatte es Ringelnatz gezogen, weil die Stimmung in München immer feindlicher und untragbarer geworden war; viele Freunde, unter ihnen Lion Feuchtwanger, Erich Mühsam, Heinrich Mann, verließen die Stadt ebenfalls. Im München der 1920er Jahre hatte Ringelnatz seinen Durchbruch erlebt. In jener leuchtenden Zeit des Simplicissimus, des Brettls und der Ausschweifung war über Nacht aus Hans Bötticher jener Joachim Ringelnatz geworden, der im Matrosenanzug auf der Bühne brüllte, schrie, sang und mitunter Stühle zertrümmerte; jener Ringelnatz, der so freche, aber auch so hinreißende-zeitlose Gedichte geschrieben hat.
Die Ruhe in Berlin währte nicht lang; 1933 kam das Publkationsverbot und die Nazis verbrannten seine Bücher. Noch viel schlimmer traf Ringelnatz aber das gleichzeitige Auftrittsverbot, denn sich nicht mehr auf den geliebten Kleinkunstbühnen austoben zu dürfen, empfand er als Ende seines künstlerischen Lebens. Ringelnatz zog sich zurück, malte und zeichnete viel, außerdem quälte ihn eine fortschreitdende Lungenerkrankung. Doch der Dichter hielt so weit es ging die privaten Kontakte zu befreundeten Künstlern auf. Im Nebenhaus wohnte unter anderem Max Schmeling, auch mit dem berühmen Boxer verkehrte Ringelnatz regelmäßig. Einen Draht zum Komponisten Hindemith, der auf der gegenüberliegenden Seite des Sachsenplatzes, heute Brixplatzes, wohnte, entwickelte der Dichter trotz einiger Besuche allerdings nicht. Immer wieder schimpfte Ringelnatz in kleineren und größen privaten Zirkeln und manchmal auch halb öffentlich gegen die Nazis und ihre dumpfe Gesinnung, wohlwissend wie gefährlich das war. Er konnte einfach nicht ruhig sein.
Einmal lehnte er sich sogar extrem weit aus dem Fenster. Ringelnatz beteiligte sich mit einer Einsendung an einem von Goebbels persönlich ausgeschriebenen Wettbewerb für eine Olympiahymne. Sein Gedicht begann mit den Worten „Jauchzend steigt die Olympiade / Olympiade unsrer Zeit. / (…)“ Die Anfangsbuchstaben der Gedichtzeilen ergaben von oben nach unten gelesen den Namen Joachim Ringelnatz. Doch das Akrostichon war nicht genug des Spotts. Ringelnatz reichte das nach allen Regeln der nazionalsozialistisch-pathetischen Versschmiedekunst verfasste Gedicht unter dem Pseudonym Erwin Christian Stolze ein. Der Göttinger Literaturwissenschaftler Frank Möbius hat das entschlüsselt. Richtig geordnet ergeben die Buchstaben des Namens den Spruch: „Wer ein Nazistrolch ist“. Das war gewagt, und zum Glück hat niemand im Propagandausschuss den offenen Angriff bemerkt.
Am 20. November, vier Tage nach seinem Tod, wurde Ringelnatz auf dem Friedhof an der Heerstraße, der sich an den Hängen rund um den Teich Sausuhle entlangzieht, beigesetzt. An der stillen, beinahe heimlichen Zeremonie nahmen nur 11 Personen teil. Die Schauspielerin Asta Nielsen trug einige Gedichtzeilen vor, dann warfen die Trauerenden eine handvoll Erde auf den Sarg und verließen still den Friedhof.
Wenn ich tot bin, darfst du gar nicht trauern
Meine Liebe wird mich überdauern
Und in fremden Kleidern dir begegnen
Und dich segnen
Er soll unter der Grabplatte aus Muschelkalk in der Position ruhen, in der er verstorben ist; auf der Seite liegend, den Kopf auf den angewinkelten Arme gebettet. Die Ruhestätte, obwohl Ehrengrab der Stadt Berlin, ist nicht besonders liebevoll gepflegt. Einige Ofenkacheln sind abgelegt (Ich habe dich so lieb! Ich würde dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken. J.R.) und ein kleines Reh, aus Plastik nicht aus Gips, steht unter einem kleinen Lebensbaum in einem Topf (siehe Bild und lese unten).
Zurück ins Leben. Leicht fröstelnd hieß es Einkehr halten in Ringelnatz‘ Lieblingskneipe „Westend Stuben“. Hier soll er mitunter ganze Tage verbracht haben, Zeitung lesend, Bier trinkend und lautstark diskutierend. Nicht immer war der Ton freundlich, der Alkohol, dem Ringelnatz gerne und über die Maßen zusprach, machte ihn oft gereizt und angriffslustig; mitunter auch ordinär und zotig gegenüber anwesenden „Damen“, die das aber in den allermeisten Fällen geflissentlich überhörten. Ringelnatz war eben Ringelnatz.
Die Gruppe um Biograf Hilmar Klute und seinen Verleger Wolfgang Hörner allerdings betrug sich artig, plauderte über Ringelnatz, genoß Aklohol nur in verträglichen Mengen und ließ den nachmittäglichen Spaziergang ruhig ausklingen; ganz ehrlich!
Hilmar Klutes Biografie ist einfühlsam, informativ und spannend. Sie sei nachtdrücklich empfohlen, egal ob das Vorwissen über Ringelnatz groß oder klein ausfällt. Lustauflesen.de dankt dem Autor für sein Buch und den inspirierenden Ausführungen (nicht nur) zu den Berliner Jahre von Joachim Ringelnatz. Ich habe diesmal eine ausführliche Besprechung des Buches gegen einen eher launigen Bericht über den Rundgang mit Hilmar Klute ausgetauscht. Ich denke, er vermittelt indirekt auch einen Eindruck von der Biografie War einmal ein Bumerang. Ein ausführliche Rezension findet sich im Blog Sätze & Schätze.
Das Leben des Joachim Ringelnatz
Gebunden, 239 Seiten
Berlin: Galiani Verlag 2015
P.S.: Der Vollständigkeit halber nachgetragen hier das Reh; weil es so schön ist.
Im Park
Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum
Still und verklärt wie im Traum.
Das war des Nachts elf Uhr zwei.
Und dann kam ich um vier
Morgens wieder vorbei,
Und da träumte noch immer das Tier.
Nun schlich ich mich leise – ich atmete kaum –
Gegen den Wind an den Baum,
Und gab dem Reh einen ganz kleinen Stips.
Und da war es aus Gips.