merk=würdig (VII) – Shakespeare & Wieland (… und einige andere)
Dem runden Jubiläum geschuldet wird heuer landauf, landab William Shakespeares gedacht. Sein 400. Todestag ist Anlaß für Jubelfeiern, kritische Würdigung und einen (hoffentlich) ungetrübten Blick auf sein Werk. »Der Schwan vom Avon« hat sich, ganz unabhängig von der Frage, wer er wirklich war (und wenn ja wieviele), als zeitloser Dramatiker bewährt. Seine Stoffe stellen alle hehren Ambitionen des Menschen zur Schau und lassen uns gleichzeitig in die tiefsten Abgründe ihrer Seelen starren. Shakespeares Dramen beinhalten alles Glück und alle Katastrophen, sie sind nicht gemalt in Schwarz und Weiß, sondern in »more than 50 Shades of Grey«. Seine Dramen spiegeln und sind die Welt, und jede Zeit findet ihren Shakespeare und in Shakespeare jede Zeit ihren Spiegel.
Im übertragenen Sinne kam Shakespeare früh nach Deutschland. Schon im 17. Jahrhundert übersetzte und bearbeitete Andreas Gryphius ausgewählte Szenen. Aber erst Christoph Martin Wieland (1733 – 1813) setzte im deutschen Sprachraum eine echte rezeptionsgeschichtliche Bewegung in Gang, als er 1762 mit Ein St. Johannis Nachts-Traum begann Shakespeares Werke in Versform zu übertragen. Beim zweiten Stück bereits wechselte er jedoch der größeren sprachlichen Freiheit wegen zur Prosaform und legte bis 1766 immerhin 22 der 38 Shakespearedramen vor.
Wieland griff mitunter beherzt in die Dramaturgie der Stücke ein, stellte Szenen um oder strich sie. Das war auch der Editionslage seiner Zeit geschuldet, denn auf wirklich zuverlässige englische Shakespeareausgaben konnte Wieland nicht zurückgreifen. Aber sein Shakespeare kommt im typischen Wielandschen Gewand daher. Der Ton scheut nicht die Nähe zur Ironie und ist zutiefst dem Geist der (deutschen) Aufklärung verpflichtet. Außerdem erwies sich Wieland (einmal mehr) als kreativer Wort(er)finder. Viele der reichen Bildssprache Shakespeares geschuldeten Wendungen Wielands gingen später in den allgemeinen Sprachgebrauch über, wie Silbersee, Steckenpferd, rosenwangig, kaltherzig, Witwenmacher, Milchmädchen, Clown, Schafskopf und Liebeswut (um nur einige zu nennen). Shakespeare in der Übertragung Wielands zu lesen, ist überraschend und amüsant, denn ohne das strenge Korsett der Verse, in das sich viele spätere Übersetzer zwängten, rückt Wielands viel näher ans Original. Er ist prosaischer!
Der Beginn des ersten großen Monologs des Titelhelden aus Das Trauerspiel von Macbeth klingt dann so:
Wenn alles vorbey wäre, wenn es gethan ist, so wär’s gut, wenn’s schnell gethan würde; wenn der Meuchelmord zugleich die Folgen auffischen könnte, und dieser einzige Streich hier alles enden würde – – so möchten wir Muth haben hier auf diesem Sandbank der Zeit über das künftige Leben wegzuspringen. Aber in solchen Fällen empfangen wir gemeiniglich unser Urtheil schon hier, indem wir andern einen blutigen Unterricht geben, der zulezt auf des Erfinders eignen Kopf zurük fällt. Die gleich-messende Gerechtigkeit nöthigt uns, die Hefen unsers eignen Gift-Kelchs auszutrinken.
Das ist rätselhafter, undurchsichtiger und dunkler, als vieles was uns vertraut ist. Aber was hat es mit den weiten Sprüngen über die Sandbänke auf sich? In Friedrich Schillers Übersetzung, verfasst für das Weimarer Theater etwa um 1800, fehlen sie beispielsweise:
Wenn uns der Meuchelmord auch aller Folgen
Entledigte, wenn mit dem Todten Alles ruhte,
Wenn dieser Mordstreich auch das Ende wäre,
Das Ende nur für diese Zeitlichkeit –
Wegspringen wollt‘ ich übers künft’ge Leben!
Bei Dorothea Tieck, deren 1833 fertig gestellte Übersetzung als Teil dessen, was wir verkürzt als »Schlegel-Tieck» benennen, weit verbreitet und vertraut ist, heißt es:
Wärs abgetan, so wie’s getan, wärs gut,
’s wär schnell getan. Wenn nur der Meuchelmord
Aussperren könnt aus seinem Netz die Folgen
Und bloß Gelingen aus der Tiefe zöge,
Daß mit dem Stoß, einmal für immer, alles
Sich abgeschlossen hätte, hier, nur hier,
Auf dieser Sandbank unsrer Zeitlichkeit,
So setzt ich weg mich übers künftge Leben. –
Doch immer wird bei solcher Tat uns schon
Vergeltung hier: daß, wie wir ihn gegeben,
Den blutgen Unterricht, er, kaum gelernt,
Zurückschlägt, zu bestrafen den Erfinder.
Dies Recht, mit unabweislich fester Hand,
Setzt unsern selbstgemischten, giftgen Kelch
An unsre eignen Lippen.
Durch das eingefügte »so« wird bei Tieck der Sprung »übers künftge Leben« nicht von der »Sandbank unsrer Zeitlichkeit« direkt ausgeführt. Die Ortsangabe verschiebt sich ins bildlich-vergleichende, ist weniger konkret und situativ als bei Wieland. Der ist in diesem Fall näher am Original als Tieck (und als Schiller, der sich noch weiter entfernt):
If it were done when ‚tis done, then ‚twere well
It were done quickly: if the assassination
Could trammel up the consequence, and catch,
With his surcease, success; that but this blow
Might be the be-all and the end-all here,
But here, upon this bank and shoal of time,
We’d jump the life to come. But in these cases
We still have judgment here; that we but teach
Bloody instructions, which, being taught, return
To plague the inventor: this even-handed justice
Commends th‘ ingredience of our poison’d chalice
To our own lips.
Alle Shakespeare-Übersetzungen von »Schlegel-Tieck« (daran arbeiteten August Wilhelm Schlegel, Ludwig und Dorothea Tieck, Wolf Heinrich von Baudissin) entfernen sich weiter vom Original als Wieland, obwohl sie sich kräftig bei Wieland bedienen. Dorothea Tieck erlaubt sich bei Macbeth viele Zusätze und Erweiterungen. Schiller dagegen dichtet wenig hinzu, läßt aber vieles aus und zieht zusammen. Was seine Sprache betrifft, so ist sie allgemeiner und philosophischer. Dorothea Tieck bleibt dem sprachlichen Ideal der klassichen Epik treu verbunden. Das Resultat ist eine gehobener, bisweilen überhöhter Ton. Ganz anders Wieland. Seine Sprache ist gehoben und umgangssprachlich zugleich, er passt seinen Ton dem Stand der jeweils sprechenden Figuren an.
Freilich ist die Sprache Wielands, sei es die gehobene oder die umgängliche, nicht mehr die unsrige. In jedem Jahrhundert haben daher Dramatiker und Schriftsteller den passenden Shakespeare-Ton ihrer Zeit gesucht. Im 20. Jahrhundert unter anderem Erich Fried, dessen Übertragungen auf deutschen Bühnen nach wie vor häufig zu vernehmen sind, Heiner Müller und Thomas Brasch. Für letzteren, so charakterisiert es Claus Peymann, »war Shakespeare geradezu die Theaterbibel schlechthin. Dem Geist Shakespeare glaubte er bedingungslos, demütig und aus ganzem Herzen«. Und so spricht Macbeth bei Thomas Brasch:
Wenns abgetan wäre damit, daß ichs tu,
wärs gut, es wäre schnell abgetan: Könnt
feiger Mord auch alle Folgen töten
und sein Vollzug nur Glücklichsein gebärn,
daß dieser Stich die Tat tut und sie löscht –
nur hier, ist in diesem flachen Diesseitsleben –
das Jenseitsleben wäre mir ganz egal. –
In solchen Fällen aber wird der Preis
noch hier gefordert, so daß, wer Unterricht
in Blut erteilt, vom Blut belehrt wird gleich.
Justitia wird ihre Waage fülln
mit meinem Gift und an den Mund mir führen.
Moderner und zeitgemäßer klingt das und rückt näher an unsere Alltagssprache heran. Braschs Übertragung st gleichzeitig aber immer noch ausreichend literarisch und poetisch, um das Alter des Originals nicht zu verleugnen. In der Modernität wahrt er die historische Distanz. Thomas Brasch (1945 – 2001) nimmt sich viele Freiheiten heraus, man beachte etwa, wie die konkret-bildlichen Sandbanksprünge Shakespeares sich im lyrischen Gegensatzpaar von Diesseits- und Jenseitsleben auflösen. Braschs Shakespeare besitzt Wucht und bleibt dennoch elegant. Sieben Dramen hat er übertragen, nur: Ach, wären es doch mehr.
Mit Nachworten von Katherina Thalbach und Claus Peymann
Broschiert, 608 Seiten
Frankfurt/M.: Insel Verlag 2002
Leider nur noch antiquarisch erhältlich
Ein Kapitel für sich ist die große, zweisprachige und kommentierte Shakespeare Gesamtausgabe in der Übersetzung von Frank Günther. Sie erscheint bei ars vivendi und wird von Experten und Presse vielfach gelobt (Link zu Ausgabe).
Trotz großartiger Neuübersetzungen lohnt auch künftig der Griff zu den Shakespeares Theatralischen Werken in der Übertragung von Christoph Martin Wieland. Hie und da mag er antiquiert sein, überholt ist er keinesfalls, denn Wieland bleibt nah am Original, ist amüsant und sprachgewaltig. Mir jedenfalls weckt diese des Merkens würdige Ausgabe die Lust auf Shakespeare stets neu. Leider muss sich der geneigte Leser ins Antiquariat begeben, wenn er Wielands Shakespeare gedruckt und gebunden nach Hause tragen möchte. Online wird er im Projekt Gutenberg kostenfrei fündig.
Übersetzt von Christoph Martin Wieland
Zweite Zürcher Ausgabe – Herausgegeben von Hans und Johanna Radspieler
Gebunden, fadengeheftet 886 Seiten
Frankfurt/M.: Zweitausendeins 2003
Diese merk=würdige Ausgabe ist eine getreue, wenn auch verkleinerte (vier Seiten auf einer), einbändige Ausgabe der 21-bändigen Edition von: William Shakespeare Theatralische Werke, Zürich: Haffmans Verlag 1995, in einem Band.
P.S.: Mehrer Quellen geben unabhängig von einander an, dass die Statue, die sich im Park an der Ilm, auf einem kleinen Plateau, am Steilhang zwischen künstlicher Ruine und Schindelhäuschen befindet, das einzige Denkmal sei, das auf dem europäischen Festland an den großen Dichter und Dramatiker erinnert. Ich lasse das hier ohne genauere Prüfung einfach mal so stehen.