Das »Ulysses-Debakel« – Ein notwendiges Update
Anfang März erschien hier unter dem Titel »Ab in die Tonne!« eine Mitteilung zur Beerdigung (Verklappung?) der Neuedition des Ulysses in der Übersetzung von Hans Wollschläger durch Harald Beck et al. Was damals noch fehlte, war eine Stellungnahme der Erbin und Rechteverwalterin Wollschlägers, Gabriele Wolff (als Schriftstellerin bekannt unter dem Namen Gabriele Gordon).
Inzwischen hat Gabriele Wolff auf ihrem Blog einen sehr langen, sehr ausführlichen, ja, nahezu ausufernden Kommentar zur »Causa Ulysses« abgegeben: »Fake News – oder wie ich zur Witwe von Hans Wollschläger wurde« greift die aus Wolffs Sicht mitunter »wirren=irren« Thesen, Behauptungen und Falschmeldungen im Feuilleton zur untersagtem Revision auf. Im Text viel Polemik und Häme, aber auch viel nachvollziehbare Argumentation: In Teil eins geht Frau Wolff die Chronologie des „vermeintlichen“ Skandals durch. Hier werden dankenswerterweise einige Jahreszahlen, Zeitabstände und Verwicklungen in der Weitergabe des Wollschläger-Erbes zurechtgerückt, sowie die Gründe zur Absage an das Projekt »Ulysses-revidiert« dargelegt. Teil zwei widmet sich inhaltlichen und übersetzerischen Aspekten rund um Joyce, Gabler, Beck und Wollschläger. Hier gleitet der (ich wiederhole: sehr lesenswerte) Text über in die Theorie des Übersetzens: wieviel Kunst darf/muss sich ein/der Übersetzer eines Werkes herausnehmen, wieviel Lexikographie und Interlinearität ist nötig und wo klafft der unverschüttbare Graben zwischen Wollschläger und Beck.
Der entscheidende Punkt in der Argumentation von Gabriele Wolff: das Einverständnis Wollschlägers zu einer Revision seiner Übersetzung erfolgte zu einem Zeitpunkt, an dem nicht zu erkennen war, wie weitreichend mögliche Eingriffe sein würden und wie hoch ihre Zahl. In Rede gestanden hätten anfangs lediglich »eine handvoll Korrekturen« und ungeklärt gewesen sei auch, ob Wollschläger nach Zuarbeit die Korrektur selbst hätte vornehmen sollen. Frau Wolff geht davon aus (unterstellt?), dass Hans Wollschläger angesichts der Kenntnisse der Sachlage, die sich Jahre später herauskristallisiert habe (tausende, statt einer handvoll Eingriffe), seine Einwilligung als »unzumutbaren Eingriff in seine schöpferische Arbeit« umgehend zurückgezogen, respektive nie erteilt hätte. Auch sei diese Haltung frühzeitig mit dem Verlag kommuniziert worden, so Frau Wolff, wie der im Artikel ausschnittsweise zitierte Schriftverkehr mit Suhrkamp belegt.
Die Crux liegt in der (unüberbrückbare) Differenz zur »künstlerischen Eigenständigkeit« und dem »urheberrechtlichen Wert« der Wollschläger’schen Arbeit. Wohlgemerkt: Frau Wolff stellt Harald Becks Bemühen und Meriten zu keiner Zeit in Abrede, im Gegenteil, sie regt an, Detaillösungen textkritisch zu hinterfragen, auf ihren sprachkünstlerischen Wert abzuklopfen und zu diskutieren. Entscheidend: dies Unternehmen könne nicht auf der Grundlage der Übersetzung Wollschlägers durchgeführt werden. Denn: das Ergebnis wäre eben kein „Wollschläger-Ulysses“ mehr. Deshalb ihre eindeutige (nachvollziehbare und juristisch wasserdichte) Absage an das Projekt.
Am 26.3.2018 hat sich dann Hans Walter Gabler, Herausgeber der kritischen, synoptischen Ulysses-Ausgabe, bei der auch Harald Beck mitgewirkt hat, mit einem Artikel in der NZZ in die Ulysses-Debatte eingeklinkt: »Rettet den deutschen Ulysses«. Sein Vorschlag: eine zweisprachige Ausgabe, die im deutschsprachigen Teil die Bearbeitung von Beck und seinem Team bringt und deutlich kennzeichnet, wo, wie und warum sie von Wollschlägers Übertragung abweicht. Das wäre dann eine Ausgabe, so Gabler, die die »bestehende Übertragung würdigt und in ihrer Substanz bestehen lässt« und den »Dialog Hans Wollschlägers mit James Joyce’ Text neu aufgreift«. Der Grundkonflikt, das Versäumnis rechtzeitig Umfang, Form und Verfahren der Revision, vertraglich zu klären, bleibt bestehen. Das räumt Gabler zwischen den Zeilen ein und appeliert: »Die gerechte Abwägung der verflossenen Bedingungen und der gegenwärtigen Situation obliegt nun der Verwalterin des wollschlägerschen Erbes im Einvernehmen mit dem Suhrkamp-Verlag.« Klingt vernünftig und würde viele interessierte Leser sicher freuen.
Doch: die dargebotene Friedenspfeife lehnt Gabriele Wolff wenig später als vergiftet ab: »Hans Wollschläger-Fake-News – updated«. Nicht wegen der von Gabler angeführten (vertrags)rechtlichen Gründe läge die Berabeitung »auf Eis«, sondern »entscheidend deshalb, weil Beck das Wollschläger’sche Kunstwerk zerstörte«. Somit sei Gablers Vorschlag »nicht nur weltfremd, sondern auch kontrafaktisch«. Das ist ein unmissverständliches und vor allem unversöhnliches »Basta!« und das Ende der Diskussion.
Was bleibt? Eine verfahrene Situation mit zwei Lagern, die (aus Sicht der am Ulysses interessierten Leser) beide Recht haben. Beide Seiten führen stichhaltige Argumente ins Feld, und beide Seiten rechtfertigen sich damit, im Sinne der Kunst zu handeln. Aber: im unversöhnlichen Zwist steht (derzeit) ausschließlich Frau Wolff auf juristisch sicherem Boden. Sie weist daher auch alle Versuche einer »öffentlichen Hexenverbrennung« im blätterrauschenden Feuilleton zurück und beharrt auf ihrem Standpunkt.
Auf der Strecke bleibt, ich wiederhole mich gern, der „einfache“, an Joyce interessierte Leser (ausschließlich für die Wissenschaft wird die Revision in 200 Exemplaren freigegeben).
Es sieht nicht danach aus, als ob sich Frau Wolff, Herr Beck und VertreterInnen des Suhrkamp Verlages in absehbarer Zeit an eine Tisch setzen könnten, um konstruktiv an einer Lösung des Dilemmas zu arbeiten. Und ob die Zeit, wie das Sprichwort in Aussicht stellt, die geschlagenen Wunden zu heilen vermag, ist mehr als fraglich. Der »Revidierte Ulysses« bleibt also in der Tonne. Wer die kritische und synoptische Ausgabe des Ulysses von Gabler nicht im Original lesen kann/will oder wer einfach eine zeitgemäße, auf Augenhöhe mit der aktuellen Joyce-Forschung angesiedelte, dabei ebenso eigenständig=künstlerische Übersetzung in die deutsche Sprache wünscht, guckt bedröppelt in die Röhre. Das ist (immer noch und weiter) bedauerlich, aber muss vorerst hingenommen werden. Schade.
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Anmerkung 1: Harald Beck möchte sich nicht an der öffentlichen Diskussion beteiligen. Ich kann mir vorstellen, wie frustierend und nervend die Debatte sein muss, wenn man mehrere Jahre intensive Arbeit in dieses Projekt gesteckt hat. Ich hätte »seinen« Ulysses gerne in Händen gehalten und studiert und ich betone, es wäre für mich weiterhin auch ein »Wollschläger-Ulysses« geblieben.
Anmerkung 2: Das Thema ist komplex, die Argumentation sind vertrackt, die Interessenslagen vielschichtig. Deshalb die dringende Bitte: Lest die oben und im vorherigen Artikel verlinkten Originalbeiträge aller Beteiligten. Das Thema ausschließlich nach Kenntnis und Sachlage meiner verknappten Darstellungen weiterzudiskutieren wäre eine unzulässige Abkürzung.