Sonntag – Eine frühe Erzählung von Mario Vargas Llosa
Miguel ist in Flora verliebt. Auch Rubén hat ein Auge auf das hübsche Mädchen geworfen und Miguel fürchtet, dass der Freund ihm die Angebetete auspannen könnte. An einem Wintersonntag in den späten Fünfziger Jahren kommt es im peruanischen Miraflores zur Konfrontation. Miguel fordert Rubén heraus, eine Mutprobe soll klären, wer der Stärkere ist und wer Floras Zuneigung verdient hat.
Sonntag ist eine der frühesten Erzählungen von Mario Vargas Llosa. Der peruanische Schrifsteller und Literaturnobelpreisträger veröffentlichte sie 1957. Pünktlich zu seinem 80. Geburtstag überreicht die Insel Bücherei ihm und uns Leser die Geschichte von Miguel und Rubén erneut als bibliophile Gabe. Thomas Brovot hat sie neu übersetzt, Kat Menschik hat wunderschöne Bilder beigesteuert.
Das gewichtige erzählerische Werk Vargas Llosas ist bestimmt durch die konfliktreiche gesellschaftliche Wirklichkeit Perus und Lateinamerikas, die er aus ständig veränderten Perspektiven und in reicher Skala formaler und sprachlicher Techniken zu erfassen suchte. Im Kern stand und steht für ihn dabei das Streben nach Freiheit, persönlicher und politischer.
Diese großen Themen liegen in Sonntag noch in weiter Ferne, der Generalbaß dieses Textes ist ein anderer, ein jugendlicherer. Aber Vargas Llosas große Virtuosität als Sprachkünstler ist bereits deutlich zu spüren. Erste zärtlich begehrende Liebe trifft auf die anerzogenen Mechanismen des Machismo. In der Clique der »Rabengeier« zu der Miguel und Rubén gehören, werden Gefühle nicht offen gezeigt, sondern hinter Riten der Männlichkeit versteckt. Miguel bekämpft seine Eifersucht mit einer Herausforderung zum Wettrinken, als die unentschieden ausgeht, soll ein Wettschwimmen im offenen Meer Klarheit über die Kräfteverhältnisse in der Gruppe und im Ringen um Floras Gunst bringen. Flora selbst kommt nicht zu Wort, zumindest nicht zu diesem Thema. Sie ist die Projektionsfläche des männlichen Eros.
Virtuose Erzählkunst
Vargas Llosa installiert einen Erzähler, der die großen pubertären Konflikte der Figuren distanziert, nüchtern, beinahe kühl und mitunter in hartem Umgangston schildert. Die Sprache der Erzählung vekleidet und tarnt die psychologischen Spannungen mit einer betont lässigen Neutralität, genauso wie die Figuren ihre Ohnmacht gegenüber ihren Gefühlen hinter einem trutzig übergestreiften Panzer der Coolness verstecken.
Rhythmus und Tempo, Wortwahl und Stimmung werden lediglich in kleinen Nuancen variiert, um sich dem Erzählten anzupassen. Wenige kurze Sätze bringen große Emotionen treffsicher auf den Punkt. Selbst als es beim Wettschwimmen im winterlich brandenden, von Nebeln verhangenen Meer plötzlich um Leben und Tod geht, präsentiert der Text große Dramatik eher zurückgenommen. Die Erzählung glänzt durch geradlinige Kraft, Krafthuberei kennt er nicht. In Sonntag führt Vargas Llosa in nuce vor, wie gute Literatur, wie gutes Erzählen, mit wenigen, bewußt gewählten Mitteln große Wirkung erzielt.
In Kat Menschik hat dieses Inselbändchen neben dem Erzähler einen weiteren Star. Bereits der Einband mit dem typischen, eingelassenen Titelschildchen und der Umschlagsillustration läßt das Herz höher schlagen. Kat Menschik findet zu Vargas Llosas Text die genau richtige Bildsprache. Hart und klar konturierte Flächen füllt sie mit weichen, leicht pastelligen Farbtönen. Das kühle Blau des Meeres und das leicht trübe Licht des Wintersonntags in den Straßen kontrastiert mit dem Strahlen Floras am Anfang und dem Miguels am Ende. Einmal mehr erweist sich Kat Menschik hier als wahre Großmeisterin der Buchillustration.
Eine Wiederentdeckung als Geburtstagsgabe
Vargas Llosa hat in den zurückliegenden Jahren durch manche private Eskapde mehr für Schlagzeilen im Boulevard gesorgt, als durch kraftvolle, neue erzählerische Arbeiten im Feuilleton. Dennoch: er ist und bleibt einer der wichtigsten spanischsprachigen Schrifsteller und Intellektuellen. So gesehen ist seine frühe Erzählung Sonntag, neu übersetzt von Thomas Brovot und illustriert von Kat Menschik, eine wundervolle Wiederentdeckung zum 80. Geburtstag des Literaturnobelpreisträgers. Und in der bewährten gestalterischen Qualität der Insel Bücherei findet sie eien adäquate »Verpackung«.
Ja, mit einem knapp 60seitigem Umfang ist das Lesevergnügen recht kurz, aber so stark und eindringlich, dass man, am Ende angelangt, sofort wieder vorne beginnen möchte.
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot
Illustriert von Kat Menschik
Gebunden, fadengeheftet, 64 Seiten
Berlin: Insel Verlag 2016 (=Insel Bücherei Nr. 2018)
Mehr Informationen und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlages.
Bildnachweis: Autorenportät Mario Vargas Llosa von Arild Vågen | Quelle: Wikimedia Commons