Die Buchpreisblogger 2016 – Eine Vorstellungsrunde
Jochen Kienbaum#dbp16, Kurz Mitgeteilt Buchpreisblogger, Deutscher Buchpreis, Kurzporträt, Vorstellung
Der Deutschen liebstes Glücksspiel ist »6 aus 49«. Ein Hauch von Lotterie, so sagt man, hafte auch dem Deutschen Buchpreis an. So begleiten »6 aus (mehr als) 49« Literaturbloggern die diesjährige Preisrunde. »Die Buchpreisblogger« lesen die Longlist, stellen die nominierten Titel zur Diskussion und fordern auf zur kritischen Debatte. In zwei Wochen steigt die »Ziehung« der Longlist und nicht nur wir sind gespannt, welche 20 Titel es in die engere Auswahl schaffen werden. Bevor es richtig losgeht, stellen sich »Die Buchpreisblogger« hier kurz vor und beantworten einige »fiese Fragen«.
Einfach auf einen der Namen klicken, dann öffnet sich das »Akkordion«…
Herbert Grieshop »Herbert liest | Dein literarischer Eskortservise« ist eine Gemeinschaftsproduktion von Herbert Grieshop und Sonja Praxl. Lesen tun beide, aber Frau Praxl macht in erster Linie Kamera & Schnitt und Herr Grieshop plaudert vor der Kamera und gibt Interviews. Den Blog gibt es seit knapp vier Jahren. Im richtigen Leben leitet Herbert den Bereich Internationales an der Freien Universität Berlin und Sonja ist freischaffende Journalistin, Produzentin von Buchtrailern und Mediencoach.
Was schätzt du an der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und was vermisst du?
Ich habe lange Zeit die fetten realistisch erzählten amerikanischen Gegenwartsschmöker (à la Franzen, Eugenides, Harbach oder Powers), die große allgemeinmenschliche Fragen durchexerzieren, bevorzugt und hatte mir immer gewünscht, dass ich in der deutschen Literatur was Ähnliches fände. Inzwischen schätze ich aber an der deutschen Gegenwartsliteratur, dass sie sich häufig kleinere Themen vornimmt: das Lebensgefühl eines bestimmten Jahrzehnts oder einer historischen Situation, eines spezifischen Milieus, einer deutschen oder europäischen Region oder einer besonderen biographischen Situation. Ich merke, dass ich da einfach oft mehr Anknüpfungspunkte habe als bei angelsächsischen Romanen, die schon mit Blick auf ein Weltpublikum geschrieben zu sein scheinen. Ist wie bei Rockmusik: kleine deutsche Indie-Bands finde ich inzwischen interessanter als U2 & Co.
Welcher Autor, welche Autorin ist in deinen Augen als BuchpreisträgerIn längst überfällig?
Schwierige Frage, denn beim Buchpreis geht es ja eigentlich um das einzelne Buch und nicht um das Werk. Um mal einen Autor zu nennen, der schon alles gewonnen hat: Peter Handkes ‚Wunschloses Unglück‘ ist ein großartiges Buch, aber danach hat derselbe Autor auch viel prätentiöses Kunsthandwerk produziert. Also: ich lasse mich lieber von jedem einzelnen Buch neu überraschen.
Was wirst du in den kommenden Wochen tun, wenn du mal Abstand von den Buchpreislektüren brauchst?
Im Urlaub wandern & essen, danach – fürchte ich – arbeiten, arbeiten, arbeiten.
Jochen Kienbaum Jochen Kienbaum hat 54 Lenze auf dem Buckel und ist von Beruf TV-Reporter. Er lebt und liest in Berlin und bloggt darüber auf »lustauflesen.de«.
Was schätzt du an der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und was vermisst du?
An der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur schätze ich zunächst, dass sie ‚deutschsprachig‘ ist. Deutsch ist meine Muttersprache, die einzige Sprache, die ich wirklich beherrsche und für die ich nicht auf Übersetzer angewiesen bin. Das ist keineswegs banal. Deutschsprachige Gegenwartsliteratur bildet die ‚Gegenwart‘ ab, wenn auch mit Abstrichen. Vielfältig sind die Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur, ja, aber manchmal wünsche ich mir (noch) mehr Wagemut, mehr Ehrgeiz, die großen Themen mit Witz, Originalität und einer Portion Megalomanie anzugehen. Da ist die US-amerikanische Literatur in manchen Belangen voraus. So ein deutscher Joshua Cohen, ein österreichischer David Foster Wallace, das wär mal was, oder ein Schweizer Thomas Pynchon. (Jetzt jammer ich freilich auf sehr hohem Niveau.)
Welcher Autor, welche Autorin ist in deinen Augen als BuchpreisträgerIn längst überfällig?
Alle und keine(r)! Oder: Wen könnte ich hier nennen, ohne andere zu übergehen? Jeder Buchpreisjahrgang entwickelt seine ihm eigene Dynamik und findet so den passenden Preisträger für das entsprechende Jahr. Ob sie oder er ein Jahr früher oder ein Jahr später ebenso ‚passend‘ gewesen wären? Wie könnte ich das beurteilen!
Was wirst du in den kommenden Wochen tun, wenn du mal Abstand von den Buchpreislektüren brauchst?
Wandern, Wein trinken, Weitsicht geniessen, denn in die Buchpreis-Zeit fällt ein Urlaub mit der liebsten Ehefrau der Welt in Südtirol. Auch wenn die Titel der Longlist mitreisen, es wird genug Zeit bleiben, Land und Leute zu entdecken oder einfach nur faul herumzusitzen. Wenn das nicht reichen sollte, lese ich notfalls ein Buch. Irgendeins ohne Buchpreis-Aufkleber.
Jacqueline Masuck Jacqueline Masuck lebt in Berlin und arbeitet als Buchhändlerin bei Dussmann das KulturKaufhaus in der Belletristik-Abteilung. Am liebsten liest sie Romane von Autoren und Autorinnen der Gegenwart, manchmal auch einen Roman aus dem 20. Jahrhundert. Da sie ihre Begeisterung darüber so gern weitergibt, bloggt sie seit Oktober 2013 auf »Masuko13« und seit Januar 2015 zusätzlich auf »We read Indie«.
Was schätzt du an der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und was vermisst du?
Ich schätze die intensive Auseinandersetzung mit aktuellen politischen und sozialen Themen. Eine Zeit lang war es das DDR- und Wendethema. Momentan geht es in den Romanen oft um das Thema Krieg, Flucht und neue Heimat. Ich wünsche mir in der deutschsprachigen Literatur allerdings eine stärkere Mitte. Zwischen den anspruchsvoll literarischen Titeln und der leichten Unterhaltung vermisse ich manchmal Autoren wie Dave Eggers mit ‚Circle‘, Michel Houellebecq mit ‚Unterwerfung‘ oder Haruki Murakami mit ‚Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki‘. Romane, die ein breites Lesepublikum ansprechen. ‚Der Trafikant‘ von Robert Seethaler oder ‚Altes Land‘ von Dörte Hansen schaffen diese Gratwanderung ziemlich gut.
Welcher Autor, welche Autorin ist in deinen Augen als BuchpreisträgerIn längst überfällig?
Darauf direkt zu antworten, fällt mir schwer. Ich wünsche mir als Gewinner einfach einen gut lesbaren Roman, der auch in anderen Sprachen funktioniert. Der in den USA genauso gelesen werden kann wie in Japan und zeigt – das bewegt gerade die Leser in Deutschland.
Was wirst du in den kommenden Wochen tun, wenn du mal Abstand von den Buchpreislektüren brauchst?
Wenn das Wetter schön ist, dann gehe ich ganz einfach raus – in einen Park, in den Wald, an einen See. Bei Regen werde ich auf meinem Sofa liegen, einen schönen Film gucken oder einen Krimi lesen.
Tobias Nazemi Tobias Nazemi gehört zu der aussterbenden Gattung Belletristik lesender Männer und bloggt seit 2014 als »last reading man« auf »Buchrevier«. Auf seinem Blog findet man meinungsstarke Rezensionen, unterhaltsame Listen, literarische Helden und sehr persönliche Leserbriefe. Er ist 51 Jahre, verheiratet, hat zwei erwachsene Söhne, ist von Beruf PR-Berater und wohnt in Krefeld. Sein Motto lautet: ernste Literatur muss man kitzeln.
Was schätzt du an der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und was vermisst du?
Die deutschsprachige Gegenwartsliteratur hat mich eigentlich noch nie gelangweilt. Sie ist so unglaublich facettenreich und vielschichtig, immer wieder für eine Überraschung gut und lässt sich nicht in Schubladen pressen. Und weil sie so abwechslungsreich ist, vermisse ich auch nichts.
Welcher Autor, welche Autorin ist in deinen Augen als BuchpreisträgerIn längst überfällig?
Diese Diskussion hat man ja jedes Jahr beim Literatur-Nobelpreis. Bekommt Murakami den Nobelpreis oder nicht? Beim Deutschen Buchpreis stellt sich diese Frage nicht, denn hier wird ja nicht ein Autor ausgezeichnet, sondern der beste Roman des Jahres. Und da zählt jedes Jahr immer nur das aktuelle Werk und nicht das Lebenswerk. Aber wenn ich einen Namen nennen müsste, dann wäre das Bodo Kirchhoff.
Was wirst du in den kommenden Wochen tun, wenn du mal Abstand von den Buchpreislektüren brauchst?
Abstand brauche ich eigentlich nur von Dingen, die ich nicht so gerne mache. Das ist hier absolut nicht der Fall. Aber wenn mir vom vielen Lesen mal die Augen tränen, lege ich das Buch zu Seite, gehe ins Bad, nehme Augentropfen und lese weiter.
Gérard Otremba Gérard Otremba ist 47 Jahre jung, gelernter Buchhändler, selbständiger Journalist und Chef des Online-Magazins »Sounds & Books«. Seine journalistische Tätigkeit begann Ende der 90er als Schreiber der Frankfurter Musikzeitschrift Kick’n’Roll, bevor er einige Jahre als freier Mitarbeiter für die Frankfurter Rundschau arbeitete. Seit 2010 veröffentlicht er seine Artikel online, zunächst für das Magazin suite101, danach auf seinem Blog Pop-Polit, aus dem sich 2016 das Online-Magazin Sounds & Books herauskristallisierte. Gelegentliche Buchrezensionen im Rolling Stone Magazin runden seine schreibende Arbeit ab. Gérard lebt in Hamburg.
Was schätzt du an der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und was vermisst du?
Ich bin ich erster Linie froh, dass die sogenannte ‚Popliteratur‘, die sich in deutschen Gefilden doch häufig als larmoyante, selbstgefällige Ich-Bezogenheits-Literatur entpuppte, keine zu große Rolle mehr spielt (und wenn, dann erscheint sie 2016 auf der Sachbuch-Bestsellerliste). Das vermisse ich gar nicht. Ich schätze die Vielfalt der deutschsprachigen Literatur. Ob nun der epische Gesellschaftsroman (Juli Zehs ‚Unterleuten‘), die wesentlich knapper gehaltenen Wetterau-Romane eines Andreas Maier oder Erzählungsbände von Judith Hermann (‚Lettipark‘) und Saša Stanišic (‚Fallensteller‘) zeigen in höchst unterschiedlichen Ansätzen, wie interessant, niveauvoll und unterhaltsam die deutschsprachige Gegenwartliteratur sein kann.
Welcher Autor, welche Autorin ist in deinen Augen als BuchpreisträgerIn längst überfällig?
Juli Zeh (vielleicht dieses Jahr für ‚Unterleuten‘), Andreas Maier (vielleicht dieses Jahr für ‚Der Kreis‘), Clemens Meyer (‚Als wir träumten‘ hätte es werden müssen), Wilhelm Genazino, Dieter Forte (die Einzelbände zur Trilogie ‚Das Haus auf meinen Schultern‘ sind leider bereits in den 90ern, also vor der ersten Verleihung des Deutschen Buchpreises erschienen; eventuell ist bei diesem Autor mal ein Ehrenpreis möglich, so als Idee, schließlich gehört besagtes Werk zum Besten der deutschen Literatur seit Mann und Koeppen), Wolfgang Herrndorf (allein wegen ‚tschick‘ muss hier ein posthumer Ehrenpreis her), Sven Regener.
Was wirst du in den kommenden Wochen tun, wenn du mal Abstand von den Buchpreislektüren brauchst?
Ich werde weiterhin fleißig über Musik berichten, wie es mein Job als Chefredakteur von Sounds & Books verlangt und mit sich bringt. Und mich in einem adäquaten zeitlichen Rahmen auf den diesjährigen Alsterlauf vorbereiten, mit dem Ziel, die 10 Kilometer unter 40 Minuten zu absolvieren.
Sophie Weigand Sophie Weigand ist ausgebildete Buchhändlerin, studiert Kulturwissenschaften, arbeitet als freie Redakteurin und bloggt seit 2011 auf »Literaturen« über deutsche wie internationale Gegenwartsliteratur, Graphic Novel und Klassiker und seit 2013 auch auf »We read Indie«. Sie lebt in Lübeck.
Was schätzt du an der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und was vermisst du?
Ich schätze die Vielstimmigkeit der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und vermisse manchmal den Wagemut, große Themen anzupacken und zu experimentieren. Sehr oft verbleibt es, gerade in der jungen Literatur, doch im Individuellen. Besonders gern in der Existenzkrise zwischen 20 und 30, meistens in der Großstadt. Ich vermisse das Welthaltige, das gegenüber der Selbstbespiegelungsprosa ins Hintertreffen gerät.
Welcher Autor, welche Autorin ist in deinen Augen als BuchpreisträgerIn längst überfällig?
Saša Stanišić. Clemens Setz. Nino Haratischwili.
Was wirst du in den kommenden Wochen tun, wenn du mal Abstand von den Buchpreislektüren brauchst?
Bei einem Eiskaffee in der Sonne etwas ganz und gar Buchpreisirrelevantes lesen.
Regelmäßige Informationen über alle Beiträge, Rezensionen und Debatten der Buchpreisblogger findet Ihr auch auf der Facebookseite des Deutschen Buchpreises. Die Seite ist öffentlich und für alle einsehbar, ein eigenes Profil bei Facebook ist nicht nötig.
Auf lustauflesen.de werde ich in Abständen zusätzlich Sammelbeiträge mit Links zu den Artikeln der Buchpreisblogger veröffentlichen.
Und die Frage, ob der Buchpreis nun Lotterie ist, Willkür oder ein obsoletes Marketinginstrument, wird ebenfalls noch zu beantworten sein. Zumindest einen Versuch wäre es wert.
P.S.: »BücherLeben«, das Literaturmagazin von NDRkultur, hat sich in der Sendung vom 6. August 2016 auch mit dem Deutschen Buchpreis und den Buchpreisbloggern beschäftigt. Hier ist der Beitrag von Andrea Schwyzer zu hören.