David Foster Wallace – Ein Leben
David Foster Wallace hat sich am 12. September 2008 selbst getötet. Vier Jahre später hat der Journalist und Essaist D.T. Max die erste umfassende Biografie des Schrifstellers geschrieben, die nun, wiederum zwei Jahre später, in der Übersetzung von Eva Kemper bei Kiepenheuer & Witsch, der verlegerischen Heimat Wallaces im deutschsprachigen Raum, vorliegt. Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte. David Foster Wallace. Ein Leben.
D.T. Max hat sich zum Ziel gesetzt, den »einzig wahren David Foster Wallace« aufzuspüren, konnte sich bei dieser Suche aber nicht auf persönliche Eindrücke stützen, denn Max hat Wallace nie kennengelernt, nie mit ihm gesprochen. Als Quellen dienten ihm in erster Linie Briefe, die Wallace Zeit seines Lebens in großer Zahl und mitunter großem Umfang geschrieben hat. Hinzu kamen lange Gespräche mit Freunden, Weggefährten, Verlegern, Kollegen und der Familienmitgliedern und das Studium des an der Universität of Texas, Austin, verwahrten und zugänglichen schriftlichen Nachlasses.
Max’ Biografie ist empathisch und mit romanhaften Zügen versehen, sie erzählt, überwiegend streng chronologisch, ein Leben voller strahlend heller und extrem finsterer Momente. David Wallace wird portätiert als ein Wunderkind, das von Depressionen und Ängsten geplagt wird, sich aber gleichzeitig seiner Genialität bewusst ist, Wallace weiß als Lehrer junge Menschen zu leiten und anzuleiten, er zeigt sich in Partnerschaft und Liebe schüchtern oder dominant, immer aber besitzergreifend und als Künstler droht er in allen Schaffensphasen am eigenen überhohen Anspruch zu scheitern. Alkohol und Drogen sind lange Jahre Wallaces einzige Stütze, nach Entzug und Klinikaufenthalt geben dann die Mentoren und die Treffen der Anonymen Alkoholiker dauerhaften Halt. Die Antidepressiva und ihre starken Nebenwirkungen nimmt Wallace hin, nachdem er lange und vergebens gegen sie angekämpft hat. Wallace war ein Mensch, der am liebsten alles unter Kontrolle halten wollte, strenge und formale Abläufe zum Leben benötigte und gleichzeitig überschwänglich und impulsiv handelte.
D.T. Max hat die ihm zur Verfügung stehende und überreiche Faktenlage in ein elegant geschriebenes und flüssig zu lesendes Lebensbild überführt. Aber, die große Stärke des Textes ist gleichzeitig eine kleine Schwäche. Max folgt einer bewährten US-amerikanischen Tradition der journalistischen Biografik; salopper Ton, freies Zitieren und Montieren bis hin zum Fabulieren sind dort erlaubt. Nebenbei, Wallace selbst hat sich in seinen Sachtexten diese Techniken zunutze gemacht und sie weit über die Grenzen des Zulässigen bis hin zur reinen Erfindung getrieben. Um hier ganz eindeutig zu sein, Max hat nichts frei erfunden, soweit ich das beurteilen kann, er hat sich auch die Fakten nicht passend hingebogen, aber er hat zugespitzt und fortgelassen, wie das jeder Autor einer Biografie muss, um seiner Augangsidee- oder these gerecht zu werden.
Max’ Ausgangsthese lautet: David Foster Wallace hat in seiner künstlerischen Arbeit, die für ihn gleichbedeutend mit Leben war, immer versucht, die Ausweglosigkeit eben dieses Lebens, die Determination durch äußere Umstände oder Krankheit, die Flucht in Rausch, Ablenkung und Zerstreuung in Sprache zu verwandeln, Ängste, Agonie und Scheitern in Form zu bringen und in Literatur zu überführen. Er hat sich an großen Vorbildern ausgerichtet, sich mit ihnen gemessen, sich an ihnen abgearbeitet und sie womöglich sogar übertrumpft. Dabei war Wallace die theoretische Auseinandersetzung mit diesen Problemen ebenso wichtig, wie das Schreiben, das Formen von Sprache, selbst. (Auch Neid spielte eine Rolle, wenn Kollegen mit vermeintlich schlechten Texten große Erfolge feierten.)
Wallace hat diese literarischen und textheoretischen Probleme, seine Blockaden des Schreibens, seine Schwierigkeiten der Literaturfindung umfänglich mit Dave Eggers, Jonathan Franzen, Don Delillo, William Markson und anderen abgehandelt. Immer wieder führte der Pfad der Diskussion zurück zu Ludwig Wittgenstein, zu »Onkel Ludwig«, wie Wallace gerne sagte und schrieb. Darüber hätte ich in der Biografie von D.T. Max gerne noch mehr erfahren. Ebenso vermisse ich eine detailliertere Analyse einzelner Werke, vor allem dort, wo Max allzu leichtfertig nur autobiographischen Referenzen nachspürt. Wenn es um die literaturwissenschaftlche Anerkennung und Aufarbeitung Wallaces geht, beläßt es Max bei der bloßen Erwähnung der Titel der zum Teil wichtigen und maßgebenden Sekundärwerke. Hier zeigen sich die Grenzen einer an eine sehr breite Öffentlichkeit adressierten Biografie, die eher der Breite verpflichtet ist, denn die Tiefe.
Nochmals sei unmissverständlich klargestellt, das von mir monierte Manko ist ein ganz persönliches, es zu beklagen, ist Jammern auf hohem Niveau. D.T. Max hat eine sehr lesenswerte, zutiefst anrührende und auch unterhaltsame Lebensgeschichte geschrieben. David Wallace, dieses Genie voller Widersprüche, dieser Mensch am Abgrund, am »schwarzen Loch mit den scharfen Zähnen«, wie er es nannte, der leben wollte, aber es am Ende doch nicht konnte, der angeschrieben hat gegen den drohenden Untergang, nur um das Geschriebene ständig zu verwerfen und neu zu beginnen, dieser lebensfreudig-verzweifelte, schüchtern-großspurige Mensch kommt uns sehr nah in dieser Biografie. Deshalb ist sie gut. Vor allem aber, und das ist bei weitem der größte Pluspunkt, verleitet und verführt sie dazu, Wallace Texte sofort lesen oder wiederlesen zu wollen, wieder einzutauchen in diesen Kosmos aus Spaß und Trauer, aus Ironie und kalter Analyse. Allen voran natürlich sein Opus Magnum Unendlicher Spaß. Aber, Vorsicht! So einfach und schlüssig wie Max die Lektüre beschreibt, ist sie nicht.
David Foster Wallace. Ein Leben.
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Eva Kemper
Gebunden, 512 Seiten
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2014
Wer etwas Zeit erübrigen kann und gut Englisch spricht, sollte das folgende Video anschauen. Es zeigt ein ungeschnittenes Interview des ZDF mit Wallace in einer Länge von 84 Minuten (aus dem Jahr 2003).
Zuletzt noch die Links zu zwei anderen Besprechungen der Biografie: Die erste ist von Mara Giese (Buzzaldrins Bücher). Sie hat von Wallace bislang noch so gut wie gar nichts gelesen, will das jetzt aber nach der Lektüre der Biografie unbedingt und sofort nachholen. Link: Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte – D.T. Max
Ganz anders Arndt Stroscher (AstroLibrium). Er ist ein passionierter, langjähriger Leser des Wallaceschen Werkes und seine Reaktion auf die Biografie ist sehr persönlich und emotional, beinahe schwärmerisch; was ihm in den Kommentaren zum Artikel auch Kritik einbrachte. Ich finde seinen Text allemal lesenswert. Link: Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte – David Foster Wallace – Ein Leben [D.T. Max]
(Foto: David Foster Wallace (2006) von Steve Rhodes – Quelle: Wikimedia Commons)