Walter Kempowski: Mit Gott hadern? Nein, er hat mich immer gut behandelt.
Eine Erinnerung an Walter Kempowski, der heute seinen 86. Geburtstag hätte feiern können. Er wurde am 29. April 1929 in Rostock geboren und verstarb am 5. Oktober 2007 in einem Krankenhaus in Rotenburg an der Wümme. Weniger als drei Monate vor seinem Tod hatte er das Kulturmagazin ttt-titel.thesen.temperamente für ein Fernsehinterview in sein Haus Kreienhoop in Nartum bei Bremen eingeladen. Es sollte sein letztes werden und sein wohl persönlichstes und eindringlichstes. Ein bewegendes Dolument.
Ich bin konservativ und liberal, und das darf man in Deutschland nicht sein. (…) Man darf ja auch heute nicht seine Meinung sagen in Deutschland. Versuchen Sie das doch mal! Ein Schritt vom Wege, und Sie sind erledigt.
Das war Kempowskis Antwort auf die Frage der Schweizer Zeitung Weltwoche, warum ihn der Literaturbetrieb weitgehend ignoriert habe. Er war unbequem, auch schwierig mitunter, aber in meiner »Lesebiographie« bleibt er ein wichtige und starke Stimme, weil einer der bedeutenden und unverzichtbaren Schriftsteller Nachkriegsdeutschlands.
Seine Romane, allen voran die große autobiographische Familengeschichte Tadellöser & Wolff und Ein Kapitel für sich, sind geprägt von einem lakonischen Ton, der mit viel Humor und einer Portion Sarkasmus gewürzt wird. Kempowskis war immer daran gelegen, Geschichte und politische Umwälzungen im Leben der »kleinen Leute« zu spiegeln, also das Große im Kleinen zu erzählen. Diese Idee hat auch seine ausufernden Tagebuchprojekte wie Echolot geprägt und getragen. Bis zuletzt hat er anonyme Tagebücher und Briefe gesammelt, exzerpiert und mit Fotos, Tondokumenten, Gemälden und anderen Zeitzeugnissen angereichert. Die gewaltige Collage Ortslinien sollte als Großkunstwerk die Jahre 1850 bis 2000 vollständig spiegeln. Es blieb Fragment. Auch in seinen Romanen, Erzählungen und Gedichten spielt die Collagetechnik, die Material unterschiedlichster Herkunft und Gewichts sammelt, überlagert und zu einer künstlerischen Einheit fügt, eine große Rolle. Darin war er Arno Schmidt nicht unähnlich, den er immer hochgeschätzt hat.
Die Akademie der Künste, Berlin, verwaltet das nachgelassene Archiv Kempowskis. Es birgt noch Arbeit für viele, viele Jahre. Die Kempowski Stiftung Kreienhoop füllt das ehemalige Wohnhaus von Walter und Hildegard Kempowski weiter mit Leben; genauso hat es sich der Schriftsteller immer gewünscht.
Von Anfang an habe ich die Tantiemen meiner Bücher in das Haus gesteckt. Und das Haus soll eines Tages gänzlich, als Literaturhaus, der »Gesellschaft zurückgegeben werden«, wie man es ausdrücken könnte. Das fröhliche Treiben soll sich fortsetzen, auch wenn ich nicht mehr Regie führe.