Weltliteratur stark reduziert
Er hat es schon wieder getan! Der Zeichner und Comic-Autor Nicolas Mahler ist ein Meister, wenn es darum geht Weltliteratur zu reduzieren. Sein jüngstes Werk hat er (wieder einmal) Thomas Bernhard gewidmet. Diesmal goss Mahler den Dramentext „Der Weltverbesserer“ in ein Graphic-Drama um. Mit wenigen Strichen, markanten Zeichen und so wenig Text wie möglich dampft er die Bernhardsche Weltbeschimpfung ein, ohne den Wesenskern dabei aus den Augen zu verlieren. Mahlers Weltverbesserer ist ein kleiner Mann, versunken in einem großem Sessel auf leerer Bühne. Er zappelt, greint, flucht und murmelt; gibt sich mal als Haustyrann, mal als Philosoph. Ein großes Vergnügen. Selbst Thomas Bernhard, da bin ich mir sicher, hätte diesen „Weltverbesserer“ geliebt. Ein Versuch Mahlers Kunstfertigkeit mit Worten zu beschreiben, verweise ich auf die bei Suhrkamp verfügbare Leseprobe.
Gezeichnet von Nicolas Mahler.
Pappband, 124 Seiten
Berlin: Suhrkamp 2014
Auch Bernahrds Komödie „Alte Meister“ hat Nicolas Mahler in seinem ganz unverwechselbaren Stil neu interpretiert. Im Wiener Kunsthistorischen Museum bezieht jeden Tag – außer an den eintrittsfreien Samstagen – der Musikphilosoph Reger Stellung vor Tintorettos „Weißbärtigem Mann“. Doch eines Tages bittet ihn sein Freund Atzbacher just am Samstag ins Museum. Warum? Das klärt sich erst ganz am Ende. Bis dahin erregt sich Reger in langen Tiraden (darin war Bernhard stets am besten) über Kunst und Künstler, Philosophen und Schriftsteller und die verhaßten Wiener. (Hier der Link zur PDF-Leseprobe von „Alte Meister“.)
Gezeichnet von Nicolas Mahler. Graphic Novel.
Klappenbroschur, 156 Seiten
Berlin: Suhrkamp 2011
Und noch ein großer österreichischer Schriftsteller. Robert Musils epochaler Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ ist ebenfalls nicht sicher vor Nicolas Mahler. Der gewaltige Romankoloss wird hier reduziert auf knapp 150 (gezeichnte) Seiten. Natürlich kann sich Mahler dabei nur auf wenige Handlungsstränge konzentrieren, doch – und das hat mich wirklich positiv überrascht – er dringt durch zum Wesenskern des Riesenbuches. Eine sehr eigenwillige, aber stimmige (und vertretbare) Interpretation.
Nach Robert Musil. Graphic Novel.
Klappenbroschur, 156 Seiten
Berlin: Suhrkamp 2013
Mit Hilfe klar gerasterter Seiten, fast zeitlupenhaften Bewegungsstudien, repetativen Handlungsabläufen mit nur minimalen Änderungen und oft über viele Seiten hinweg ohne Worte überführt Mahler Musils ausuferndes Wortmeer in ein fröhlich fließendes Comic-Bächlein. Und das Musilsche K.&K.-Personal wird jeweils mit wenigen, charakteristischen Strichen markant umgesetzt; mit langen Nasen, dicken Bäuchen und kurzen Beinchen. Besonders köstlich ist der Mörder Moosbrugger getroffen: ein kleines, schildkrötenartiges Männchen, das mit großen Augen in die kleine Welt seiner Gefängniszelle schaut. (Hier der Link zur PDF-Leseprobe von „Der Mann ohne Eigenschaften“.)
Nicolas Mahler, Jahrgang 1969, lebt und arbeitet in Wien und wurde für sein umfangreiches Werk mehrfach und hoch ausgezeichnet. Wenn er Weltliteratur reduziert, dann gehört das zum besten, was die literarische „Graphic-Scene“ derzeit zu bieten hat.