Der Eigenbrötler spricht zur Welt – Briefe von Arno Schmidt
Und nun auf, zum Postauto! – Und hinaus in die Welt. Der Schriftsteller Arno Schmidt galt und gilt vielen als genialischer Einzelgänger. Er selbst hat zu diesem öffentlichen Bild einiges beigetragen, freiwillig und unfreiwillig. Doch Menschen, die ihn näher kennenlernen durften, erlebten ihn auch als geselligen und humorvollen Gesprächspartner; solange nicht zu heftig widersprochen wurde. Auch der vorliegende Briefband will (und kann) das Bild vom welt=enthaltsamen Eigenbrötler, vom Solipsisten in der Heide gehörig revidieren. Das von Friedrich Forssman – wieder einmal – elegant und leserfreundlich gestalte Buch versammelt 150 Briefe aus über vier Jahrzehnten. Ein eindrücklicher Beleg für Schmidts „großes Talent, Briefe zu schreiben“.
Die von Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach von der Arno Schmidt Stiftung in Bargfeld für diesen Auswahlband gewählten Briefe Schmidts werden hier gut zur Hälfte, so die Auskunft von Susanne Fischer, erstmals publiziert. Also wird selbst der ausgewiesene Schmidtkenner hier auf interessante neue Funde stoßen, und selbst das bereits Bekannte liest sich im chronologischen Ablauf der Briefe neu, weil in anderen Zusammenhängen.
Unter den Empfängern der Briefe finden sich Mutter und Schwester, Kriegs- und Schulkameraden, Verleger und Autoren, Leser und (wenige) Freunde. Die Texte sind Zeugnisse eines entbehrungsreichen Alltags, strenger Disziplin bei der Arbeit und immer wieder auch Belege für Schmidts (selbstinszeniertes) Bild als verkanntes Groß-Genie der Literatur:
Ich protestiere hiermit feierlich dagegen, jemals als ‚Deutscher Schriftsteller‘ von dieser Nation von Stumpfböcken vereinnahmt zu werden! Deutschland hat mich immer nur von Ort zu Ort gehetzt, und miserabel für meine cyclopische Schufterei entlohnt!
(Arno Schmidt)
Der Ton der Briefe ist mal polternd und böse (etwa wenn er auf Verleger und Lektoren schimpft), mal witzig und ironisch (vor allem in den Alltagsschilderungen gegenüber engeren Freunden und Bekannten) und kann auch vernichtend sein (wenn er dem Kollegen Hans Wollschläger dessen Poe-Übersetzungs-Versuche um die Ohren haut). Doch immer sind sie in jenem unverkennbarem Schmidt-Ton verfasst, jener Mischung aus Hoch- und Umgangssprache, die orthografisch eigenwillig ist und gespickt mit expressiven Wortneuschöpfungen.
Apropos Wollschläger: zur Buchmesse 1984 hat die (damals noch blutjunge) Arno Schmidt Stiftung neben dem Editionsplan der Werke (Bargfelder Ausgabe) auch den Plan zu einer auf acht Bände berechnete Briefedition vorgelegt (Arno Schmidt: Der Briefwechsel mit … ). Erschienen ist der erste Band der Briefwechsel-Reihe dann (verspätet) im Herbst 1985. In loser Folge (und alle irgendwie verspätet, aber besser zu spät als nie) erschienen weitere Bände, so daß nun vorliegen: die Briefwechsel mit Alfred Andersch, Willi Michels, Eberhard Schlotter und Kollegen. Lange angekündigt, immer wieder verschoben (und derzeit ohne konkreten Erscheinungstermin) ist auch der Briefwechsel mit Hans Wollschläger. Auf den warten ich (und viele andere Schmidt-, Poe-, May- und Joyce-Leser) sehnsüchtig; na, er wird schon kommen, irgendwann!? Kleiner Trost ist, daß im vorliegenden Auswahlband immerhin 12 Briefe an Wollschläger aufgenommen wurden. Neben der oben schon erwähnten harschen Kritik an Teilen der Poe-Übersetzung auch einer mit segensreichen Empfehlungen Schmidts zur „ehehygienisch wertvollen“ Arbeitsteilung im Schriftstellerhaushalt.
Glauben Sie einem alten Praktikus : auf die Dauer m u ß Ihre Frau mit heran; alpha) der reinen Arbeitslast wegen; und beta) aus noch einem anderen Grunde : Infolge unsrer unverschämten Suprematie im Fach tritt bei Künstlerfrauen grundsätzlich Persönlichkeitsverlust ein, der in Verbitterung & gerichtetem Ärger enden muß. Da ist es nun nicht mehr als recht & billig (& ’nützlich‘ obendrein) wenn das Ventil des ‚Ersten Lesers‘ geöffnet wird; d.h. wenn die Damen uns die Buchstaben nachrechnen dürfen – in Übersetzungen; (in die eigenen Bücher lass auch ich mir nicht hineinreden). Sie werden sich dann noch wundern, was D i e uns da soll alles zu hören geben. Und da bin ich nun überzeugt, daß ‚die Meine‘ mir, beim Lesen, daß ‚kleine Kinder sich unverzüglich gut hauen lassen‘ eiskalt gesagt hätte: ‚Du, das ist witzlos; dergleichen schreibt ein POE nicht: zeig ma’s Original.‘ Bei einiger Schulung lernt ihre Frau das, verlassen Sie sich darauf, ganz unangenehm schnell. Also auch von diesem Standpunkt aus ist die Mitarbeit erwünscht.
(Arno Schmidt an Hans Wollschläger , 3. Juli 1964)
Das ist typisch Schmidt … und urkomisch-verbissene, brummelnd-feixende Sottisen dieser Art lassen sich viele in diesem Bändchen auftreiben. Auch der Anfänger in Sachen Schmidt wird hier wohlschmeckend geködert und zu eingehenderer Lektüre verführt, soviel steht fest.

Hrsg. von Susanne Fischer und Bernd Rauschenbach. Eine Edition der Arno Schmidt Stiftung im Suhrkamp Verlag
Halbleinen, 295 Seiten
Berlin: Suhrkamp 2013

Abschließend sei explicit (noch einmal) auf Folgendes hingewiesen: nicht nur inhaltlich ist Und nun auf, zum Postauto!! ein Genuß, sondern auch in der äußeren Gestaltung. Friedrich Forssman hat – wie bereits bei den Tagebüchern Alice Schmidts – Anklänge an die Optik und Haptik alter Schreibkladden gewählt. Innen besticht der solide und feste Halbleinenband mit einem angenehm augenfreundlichen Satz- und Schriftbild. … Aber, ganz ehrlich; das sind wir bei Editionen der Arno Schmidt Stiftung gar nicht anders gewöhnt!