Sog und Tableau – Die Prosa der Valerie Fritsch als Phänomen und Paradoxon
In der festen Überzeugung, Valerie Fritsch müsse einen Shortlistplatz ergattern, habe ich meine Besprechung von Winters Garten immer wieder aufgeschoben, obwohl es einer der ersten Longlist-Titel war, den ich gelesen hatte. Nun bin ich zu spät; die Shortlist hat Fritschs Roman nicht erreicht, das Buch ist aber weiter im Handel und im Gespräch. Ich rücke aber von einer klassischen Besprechung ab und konzentriere mich hier auf Aspekte ihrer Prosatechnik und beziehe mich auf Beiträge einiger Mitstreiter_innen im Kreis der Buchpreisblogger. Besprochen haben den Roman der jungen Grazer Schriftstellerin Tobias Nazemi vom Blog buchrevier und Mara Giese vom Blog Buzzaldrins Bücher, ferner haben Tobias und Simone Finkenwirth vom Blog Klappentexterin ein Gespräch über Winters Garten geführt.
So faszinierend dicht Valerie Fritsch schreibt, so groß die Sogwirkung ihrer Sprache ist, und so berauschend die Lektüre von Winters Garten auch auf mich gewirkt hat, bereitet es mir Probleme, über ihre Prosa zu schreiben, denn Valerie Fritschs Roman ist ein Phänomen, eine (im Wortsinn) seltene, bemerkenswerte und auffällige Erscheinung. Phänomene können anziehend oder abstoßend wirken: Fritschs Prosa erreicht bei mir beides. Im folgenden, mein verzweifelter Versuch, diese ausserordentliche Wirkung zu beschreiben. Dabei reibe ich mich bewußt auch an der ungebremsten Begeisterung von Tobias Nazemi.
Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so ein sprachgewaltiges Werk in den Händen gehalten habe. Immer wieder habe ich meinen Bleistift gezückt und Sätze angestrichen. Formulierungen, die mir gefielen, die mich begeisterten, bewegten, etwas in mir zum Klingen brachten. Irgendwann habe ich angefangen, ganze Seiten zu markieren, denn das hörte gar nicht mehr auf mit den perfekten Sätzen. Kurze prägnante Sätze, lange verschachtelte Sätze, ungewöhnliche Sätze. Konstruktionen, die mich beim Lesen immer wieder überraschten, mit Schlenkern und Einschüben, die ich so nicht erwartet hätte. Valerie Fritsch hat einen Schreibstil, eine Kunstfertigkeit, die man anschauen und bewundern aber nicht lernen kann.
Richtig ist, Valerie Fritsch ist ein einzigartiges Prosatalent. Das betonen unisono alle Kritiken, die sich finden lassen. Ihr gelingen dichte Bilder und weitgespannte Metaphern, die in einen suggestiven Sprachfluss gebettet werden (vom Sogeffekt ist allenthalben die Rede). Mit Worten malt die Autorin üppige, barocke Vanitas-Tableaus, erdfarbenschwere Untergangsmotive-Motive und strahlende (beinahe biblische) Apotheosen. Aber das ist in der repetetiven Durchführung, in den feinabgestuften Variationen, die Fritsch durchspielt (und durchspielt) auch ein wenig ermüdend. Bei aller impressionistischen Stilistik, die virtuos eingesetzt und variiert wird, in Winters Garten tönt im Hintergrund auch eine stakkatoartig vor sich hintuckernde Prosamaschine. Ich wiederhole mich gern: der Text ist phänomenal, zieht hinein, brilliert; aber er hält (mich) gleichzeitig auf Distanz. Ich gehe noch weiter und sage: dieser Text mutet paradox an: eine junge Autorin schreibt, fernab zeitgenössischer Prosaströmungen, in einem früh entwickeltem Alterstil, der ganz bewußt antiquiert ud historisierend daher kommt. Indirekt räumt das auch Simone Finkenwirth im Gespräch mit Tobias Nazemi ein:
Ich habe mich oft dabei ertappt, dass ich mir das Alter der Autorin vor Augen führen musste und mich fragte: Wie kann jemand in so jungen Jahren derart weise sein? Ist Valerie Fritsch womöglich eine junge Frau mit einer alten Seele?
Eine Frage, die (dort wie hier) ohne Antwort bleibt. Die artifizielle Eleganz des Textes bleibt ohne ausreichendes Gegengewicht in der Bedeutung. Winters Garten trasnsportiert wundervolle Einzelgedanken, evoziert eindringliche Momente, aber verliert das große Ziel aus dem Auge und hängt am Ende ein wenig unentschlossen in der Luft, schwebend zwischen Wehmut, Sehnsucht und Fatalismus. Wohlgemerkt, die zweigeteilte Handlung, mit ihrem harten Schnitt zwischen der Kindheits- und Jugendgeschichte Antons im paradisischen Garten inmitten der kommunardenhaften Großfamilie und dem bedrohlichen Szenario der untergehenden und sterbenden Stadt, sowie die daraus resultierende Rückflucht aufs Land mit der erotisierend-emotionalen Freundin Friederike (hier ein synergetischer Rausch aus Farben, Gerüchen und Geräuschen, dort ein grau-abgestuftes nicht näher erklärtes Untergangsszenario), ist sorgfältig konstruiert. Dazu merkt Mara Giese an:
Während mir der erste Teil des Buches noch ausgesprochen gut gefallen hat und ich die Beschreibungen der idyllischen Kindheit sehr genossen habe, hatte ich mit dem zweiten Teil doch meine Schwierigkeiten. Der Weltuntergang schwebt bedrohlich über dem Text, doch dabei bleibt alles sehr vage. Es herrscht eine große Sprach- und Wortlosigkeit, auch zwischen Anton und Frederike, die ich mir beim Lesen kaum vorstellen konnte, weil sie so blass bleibt.
Die grobe Konstruktion stimmt, aber die letzte Balance fehlt; so empfinde ich das. Die Sprache des Romans, die formalen Mittel, dominieren die Handlung und die inhaltlichen Strukturen. Kurz: Fritsch misst der sprachlichen Gestaltung mehr Gewicht zu als der eigentlichen Handlung. Der Blick nach Innen, und die damit einhergehende Wahrnehmung der Aussenwelt, nicht ihre Beschreibung (oder gar Deutung), ist diesem Text wichtig. Der äussere Ablauf, die Oberfläche, der Gechichte ist zweitrangig, der tiefliegende Mechanismus ist entscheidend.
Mir scheint, dass Fritsch bewusst auch zurückgreift auf Traditionslinien der Literatur und mit diesen Traditionen jongliert. So wird im Kern dieses Textes (und das keineswegs nur nebensächlich) literarisches Handwerk verhandelt – auf dem Spielfeld des literarischen Handwerks.
Es gibt Autoren, die wollen in erster Linie eine Geschichte erzählen und benutzen Sprache lediglich als Mittel zum Zweck. Und dann gibt es Autoren wie Valerie Fritsch, die wollen Stimmungen und Gefühle vermitteln und für die ist die Geschichte lediglich Mittel zum Zweck. Es ist vollkommen egal, wo dieser Garten ist und warum die Welt untergeht.
Mir reicht das, im Gegensatz zu Tobias Nazemi, nicht. Ich vermisse im erzählerischen Grundgerüst schon den ein oder anderen stützenden Pfeiler oder tragenden Balken, vermisse auch im zugegeben gewaltig-farbigen und explosiven Sprachgewitter die ein oder andere Atempause und klärende Zäsur. Mara Giese geht es ähnlich:
Winters Garten ist ein sprachmächtiger Roman einer hochveranlagten Autorin, dem es jedoch für mein Empfinden an ausgereiften Charakteren und einer durchdachten Handlung fehlt. Beim Zuklappen des schmalen Büchleins habe ich mich mal wieder gefragt, was eigentlich wichtiger ist: die Sprache oder der Inhalt? In diesem Fall hätte eine bessere Mischung dem Buch gut getan.
Dennoch, Winters Garten ist und bleibt unterm Strich ein beeindruckender überaus lesenswerter Roman. Valerie Fritsch ist ein großes Prosatalent und Winters Garten ist ein Phänomen.
Hier eine Leseprobe aus Winters Garten (Suhrkamp Verlag).
»Die Welt ist meine Innerei« – Ein Exkurs
Wie perfekt Valerie Fritsch es beherrscht, im Blick nach Innen Wahrnehmungen zu erfassen und in Sprache umzusetzten, beweist sie eindringlich auch in ihren Reiseberichten. Die erschienen 2012, ein Jahr nach ihrem eindrucksvollen Romandebüt unter dem beinahe programmatischen Titel Die Welt ist meine Innerei bei Septime. Die Liste der Ziele liest sich wie ein Katalog der Sehnsuchtsorte und dem Verlangen nach Ferne. Von Berlin über Amsterdam und Moskau zieht es sie bis nach Äthiopien, Madagaskar, Bangladesh, Thailand, Vietnam und Malaysia. Die Briefe von unterwegs sind gerichtet an einen »Liebsten«, doch die Ansprache an das konkrete Gegenüber wird schnell aufgegeben. Die Texte verlieren den Adressaten aus den Augen, konzentrieren sich auf das Innere des Betrachters und die dort von der sinnlichen Wahrnehmung ausgelösten Emotionen.
Beigegeben sind Fotostrecken; Valerie Fritsch ist ausgebildete Fotografin und die Bilder stützen und erläutern auch das ästethische Verfahren der Texte. Sie schieben häufig das unscheinbare Detail ins Blickfeld, das sich in der Weite einer Landschaft oder in einem Raum versteckt, um sich erst auf den zweiten, dritten oder gar vierten Blick ins Wahrnehmungsfeld zu schieben und dann dort nachhaltig haften zu bleiben.
Während vor den Augen des Lesers die Oberfläche dieser schlichten und locker konstruierten Reiseerzählung abbröckelt, wärmt sich der Blick allmählich an dem, was diese Art von Prosa zu leisten imstande ist: einerseits als Abwehr und andererseits als Einladung an die angenehm gefährliche Welt aufgestellte poetische Tableaux zu entwerfen, auf denen man verweilen und der Zeit beim Vergehen, Verletzen und Verheilen zusehen kann.
So formulierte es Clemens Setz, der Grazer Schrifstellerkollege, in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Literaturpreises der Akademie Graz an Valerie Fritsch. Die Welt ist meine Innerei ist ein Synthese aus Texten und Bildern, aus Distanz und Nähe, aus Emotion und Reflektion. Valerie Fritsch beweist auch in dieser teils grotesken, teils sehr liebevollen Annäherung an die Widrigkeiten der Welt phänomenale Fähigkeiten im Umgang mit Worten, Bildern und Rhythmus. Eine ideale Ergänzung zum Roman Winters Garten oder (wahlweise) eine gute Vorbereitung.
Reisebriefe und Bilder
Gebunden, 224 Seiten
Wien: Septime 2012
Hier noch einmal die Links zu den zitierten Beiträgen der Buchpeisblogger und einige mehr:
buchrevier – Jenseits von Zeit und Ort
Klappentexterin – Bloggertalk über die Longlist: Winters Garten
Buzzaldrins Bücher – Winters Garten von Valerie Fritsch
Literaturen – Valerie Fritsch: Winters Garten
Die Buchbloggerin – Valerie Fritsch: Winters Garten