Michel Houellebecq – Unterwerfung
Francois konvertiert am Ende des Buches überzeugte zum Islam. Die Hauptfigur, zugleich Icherzähler des Romans, spricht die rituelle Formel »Es gibt keinen Gott ausser Gott, und Mohammed ist sein Gesandter« und beschließt mit einer beinahe mystischen Verklärung seinen geistigen Reinigungsprozess. Ab sofort ist Francois wieder ein vollwertiges Mitglied der französischen Gesellschaft. »Ich hätte nichts zu bereuen.« Das letzte Kapitel des Buches, der Bericht von der Unterwerfung, vom Übertritt zum Islam steht in der Mögichkeitsform; oh, wie treffend ist hier der deutsche Begriff für Konjunktiv.
In Unterwerfung spielt Michel Houellebecq ein mögliches politisches Szenario durch, eines von vielen denkbaren. Er entwirft, gewürzt mit viel Ironie und Sarkasmus, die Möglichkeitsform einer gesellschaftlichen Entwicklung, die am Ende rückwärts gewandt nach vorne schreitet. Kirche, Politik, Kultur und Wirtschaft, alle europäisch-abendländischen, sprich, christlich-jüdisch geprägten Wertesysteme haben versagt. Die einst aus den stabilen Wurzeln eines katholischen Mittelalters entsprungenen Vorstellungen von einer funktionierenden Gemeinschaft aller Menschen sind überkommen. Die Gesellschaft hat sich selbst entmachtet, weil sie sich hat aufreiben lassen von Liberalismus, Laizismus, Kapitalismus und Gleichgültigkeit.
Das durchaus provokate Szenario entwirft Houellebecq mit großer Intelligenz und Fabulierfreude, seine große Kraft verdankt der Roman im wesentlichen seiner Hauptfigur Francois. Der Icherzähler ist Hochschullehrer, Spezialist für die Literatur des 19. Jahrhunderts, ein exzellenter Kenner und Verehrer der Werke von Joris-Karl Huysmans. Francois verkörpert den im Grunde vollkommen apolitischen, intellektuellen Akademiker in idealer Weise. Ein unsympahtischer, liebes- und beziehungsunfähiger, Eigenbrödler, der ohne wirkliche Familienbindung und ohne festen Wertmaßstab seinen beruflichen und privaten Alltag bestreitet. Ein kranker Typ, irgendwie, der dem Alkohol mehr als übermäßig zuspricht, sich ungesund ernährt und Sex beim Escortservice genauso emotionslos einkauft und genießt, wie die Mikrowellengerichte aus dem Supermarkt. Doch radikale Veränderungen in Frankreich rütteln ihn auf:
Dass Politik in meinem Leben eine Rolle spielen könnte, verwirrte und ekelte mich ein bisschen.Mir war aber bereits klar geworden, dass der sich inzwischen seit Jahren verbreiternde, inzwischen bodenlose Graben zwischen dem Volk un denen, die in seinem Namen sprachen – also Politiker und Journalisten -, notwendigerweise zu etwas Chaotischem, Gewalttätigem und Unvorhersehbaren führen musste.
Das sture Beharren auf ein starres Rechts-Links-Denken im Parteiensystem Frankreichs und blindes Machterhaltungskalkül führen dazu, dass sich die gemäßigten Kräfte rechts und links der Mitte, nur um mit aller Kraft die Präsidentin Marine Le Pen vom Rechtsextremen Front National zu verhindern, mit der Bruderschaft der Muslime arrangieren. Mohammed Ben Abbas wird so Präsident und verwandelt sukkzessive Frankreich in einen islamischen Staat. Abbes ist ein charismatischer Mann, der einen besonnenen und gemäßigten Islam vertritt; und weil er die Famile als Kernzelle der Gesellschaft, das Handwerk und den Mittelstand als Kernzelle der Wirtschaft und ein um den Mittelmeerraum erweitertes, sich auf die Größe des altrömischen Reiches berufendes, geeintes Europa propagiert, folgen ihm die »alten« Parteien bereitwillig. Der Islam, als letzte Hoffnung für ein schlaffes Europa, bietet auch ihnen neue Argumente und Rezepte im verloren geglaubten Kampf gegen den allgemeinen Sittenverfall.
Francois gleicht die aktuellen Ereignisse im (fiktiven) Frankreich des Jahres 2022 gedanklich immer wieder ab mit dem literarischen Werk Huysmans’. Die Wahl ist bezeichnend, denn bereits Huysmans trieben ähnliche Entwicklungen des Verfalls und der Dekadenz im 19. Jahrhundert in eine mystizistische Haltung, die schlussendlich in einem Rückzug im (katholischen) Kloster mündeten. Huysmans’ Leben und Werk dienen Houellebecq als Spiegel und Brennglas. Das hier beschriebene Szenario ist nicht neu.
Übrigens, islamistischer Terror existiert nicht mehr, zumindest nicht im islamischen Staat Frankreich, er wurde ersetzt, dank Ben Abbes’ umsichtiger Politik, durch Diplomatie. Und das, was am Werte- und Gesellschaftssystem des Islam gegenwärtig kritisiert wird, das Patriarchat, die Unterdrückung der Frau, das religiöse Rechtssystem, arrangierte Ehen, all das wird am Ende der houellebecqschen Was-Wäre-Wenn-Utopie ins positive gekehrt.
Zynismus, Ironie, Sarkasmus, Zotigkeit: all das kann Houellebecq vorgeworfen werden, aber, Verunglimpfung der Muslime, gar des Islam? Ich habe das nicht entdeckt. Aber vielleicht liegt meine Verunglimpfungsschwelle höher als die Anderer (Andersgläubiger). Für mich startet Houellebecq mit Unterwerfung keinen Angriff auf den Islam, und jedem halbwegs aufmerksamen Leser leuchtet das bei der Lektüre sofort ein, sondern er attakiert das sogenannte westliche Abendland, denn, so betont der Schriftsteller nach der Veröffentlichung seines Romans immer wieder:
Ein islamfeindliches Buch zu schreiben ist viel einfacher, als sich von keiner Seite vereinnahmen zu lassen.
Nach den Anschlägen auf die Redaktion der Zeitschrift Charlie Hebdo und der anschließend (und auch davor) an ihn gerichteten Bedrohung formuliert Houllebecq dies sogar noch eindeutiger.
Erstens ist Unterwerfung ist kein islamophober Roman und zweitens, man hat aber das Recht einen islamophoben Roman zu schreiben, wenn man will.
Die Freiheit der Meinung, der Presse und der Kunst, so Houllebecq ganz unabhängig von der Diskussion um Unterwerfung, ist eines der wichtigsten Güter, die wir haben, diese Freiheit gilt es stets zu verteidigen.
Unterwerfung ist, trotz (und wegen) aller Eskapaden, Entgleisungen, Schrillheiten und Geschmacklosigkeiten ein enormer, wichtiger und großer Roman. Selten hat mich ein Buch bei der Lektüre derart hin- und her geschleudert zwischen amüsierter Zustimmung und angeekelter Ablehnung, und ausschließlich hierin liegt das provokante Potential von Unterwerfung. Denn jenseits allem Zynismus und Sarkasmus fordert uns hier ein sehr nachdenklicher Michel Houellebecq heraus, unsere Vorstellung vom Leben in der Gemeinschaft zu reflektieren und neu zu justieren. Noch ist es nicht zu spät, oder?!
Aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczeck
Gebunden, 275 Seiten
Köln: Dumont Buchverlag 2014
Mehr Informationen und eine Leseprobe auf der Webseite des Verlages