Keine Anschläge & Tastaturstillstand – Ein Notruf von der Werkbank
Die Worte sind abhanden gekommen. Ich jage ihnen vergebens nach. Ich warte, bis sie aus freien Stücken zurückkehren. Sie bleiben fern. Dabei gäbe es viel zu sagen, zu beschreiben und mitzuteilen. Doch die Tastatur will nicht klappern, das virtuelle Blatt bleibt weiß und leer. Das Hirn ist verknotet und die Ideenquelle sprudelt nicht. Soviel habe ich mir vorgenommen, but, alas, it won’t work.

Wer die Blogrhythmusstörung ignoriert, riskiert den Bloginfarkt. Der Prozess stoppt, will mit zurückgesetzten Parametern neu starten. Viele Schilder weisen in viele Richtungen, alle sind falsch. Der Suchbegriff „richtig bloggen“ liefert 460.000 deutschsprachige Treffer. Tipps für den Erfolg sind Legion. Wem vertrauen, wem glauben? Höchst widersprüchlich heißt es: schreibe kurze Texte, nein, lange, sei heißblütig, nein, besonnen, sei subjektiv, nein, objektiv, sei inspirierend, nein, langweilig … Bäm!, ich lese nicht weiter. Mein Pfad findet sich hier nicht.
Overload. Nicht unter der schwebenden Last aufhalten! Auf gut Deutsch, ich hänge fest. Wieder einmal. Das Augenmaß fehlt für das, was ich schreiben möchte und kann. Die Löschtaste, ja, die oben rechts mit dem Pfeil nach links, möchte ich heraushebeln, um dem vermaledeiten Teufelskreis aus schreiben, löschen, schreiben, löschen … zu entfliehen. Klapperdiklapp, die Finger fliegen, aber der Quark auf dem Schirm wird nur breit, nicht stark. „Write drunk, edit sober!“ Ich hab’s probiert. No, Mr. Hemingway, that’s no way either. Wer verrät mir, wie Blogbeiträge zu verfassen sind, in vernünftiger Relation aus Aufwand und Ertrag. Wer verrät mir, was meine Leser erwarten. Wer flüstert mir ins Ohr, was knapp und klar mitzuteilen ist.
Ich sag es frei heraus: Das „verpönte ich“ drängt ständig nach vorne, und ich schiebe es wieder nach hinten. Der Wille, eine bescheidene private Internetseite zu einem Hort intellektueller Erkenntnis hochzupushen, mich zu pushen, hat mich in eine Sackgasse manövriert. Der eigene Anspruch lähmt. Dass ich an einem Artikel mitunter Tage schreibe und feile, das Ergebnis dies aber nicht spiegelt, führt zu Frust. Schneller publizieren, spontaner urteilen, nicht immer abwägen und objektivieren, das möchte ich gern. Ich werde es in den kommenden Wochen ausprobieren. Der Gefahr, Euch Leserinnen und Leser damit zu quälen und zu langweilen, trete ich mit unterschwelliger Angst, aber auch einigermaßen gelassen entgegen. „Es ist meine Webseite, die Spielregeln bestimme ich!“ – das sagt sich leicht, fällt aber in der Umsetzung so schwer.

Enttäusche ich Erwartungen? Rutsche ich ab in Oberflächlichkeit? Verliere ich Vertrauen? Habe ich jemals Vertrauen genossen? Wenn ja, von wem? Und warum? Auf diese Fragen habe ich keine Antworten. Ich weiß nur, dass ich anders, schneller und spontaner schreiben möchte, weniger geschliffen, dafür ehrlicher. Ich muss es. Ansonsten hechel ich nur noch hinter Erlebten und Erlesenen her, beginne zu hinken, bleibe stehen und werde überrollt. Das führt zu unfreiwilligen Brüchen und Pausen, die will ich nicht. Die Historie von lustauflesen.de hat diese Phasen der Totenstarre zu oft erlebt. Doch viel frustrierender als meinen Stil und meine Schreibhaltung zu variieren ist es, ständig wieder von vorne beginnen zu müssen. Deshalb keine (erzwungene) Blogpause, sondern ein (freiwilliger) Paradigmenwechsel in Standard und Form. Keine Rollenspiele, mehr Ehrlichkeit, mehr Authentizität, mehr »ich«.
Ich schreibe wie mir der Schnabel gewachsen ist. Nehme keine Rücksicht mehr auf Urteile, Spott oder Häme von aussen. Vergleiche meine Texte nicht mehr ständig mit denen auf anderen Webseiten, auf anderen Blogs, weder inhaltlich, noch stilistisch. Mag sein, dass es künftig kruder, rauher und hemdsärmeliger zugeht auf lustauflesen.de, aber ich möchte mich nicht mehr verbiegen und verstellen, um Kompetenz künstlich vorzugaukeln, wo keine ist. Mag sein, dass lustauflesen.de einige Abstriche hinnehmen muss, aber mein Anspruch, ein journalistisch-literaturkritisches Angebot sein zu wollen, bleibt. Es wird allenfalls etwas persönlicher, ganz im ursprünglichen Sinne eines Weblogs, eines ins Internet geschriebenen Tagebuches oder Lesejournal. Schluss mit dem Versuch, das Feuilleton (oder irgendetwas anderes) zu kopieren, sein zu wollen, was ich nicht bin, nicht sein kann.
Viele Worte, viel Getöse. Verzeiht mir dieses kleine Lamento. Es musste sein, ich hatte es nötig, es hat mich befreit. Ich gehe jetzt wieder an die „Arbeit“, zurück an die Werkbank, versprochen. Die Longlist zum Buchpreis wartet, die von mir ausgewählten Titel, die Gespräche und Diskussionen mit den Buchpreisblogger-Kollegen. Auf dem Schreibtisch liegen zahlreiche gelesene Titel, die besprochen werden möchten. Und viel mehr habe ich noch zu berichten von einer auf- und anregenden Reise durch Flandern & die Niederlande, die im Oktober auf der Buchmesse mit einem sicherlich spektakulärem Gastlandprogramm aufwarten werden. (Auf der FB-Seite von lustauflesen.de war bereits einiges zu sehen.)
