Raben und Krähen – Ein bibliophiles Tierporträt
Es ist liebevoll gestaltet und verblüfft mit einer Fülle von überraschenden Informationen und Beobachtungen. Es ist eines dieser kleinen Büchlein, die jeden Leser glücklich machen und ihm mit der Zeit mehr und mehr ans Herz wachsen.
Es handelt sich um Krähen von Cord Riechelmann. Ein Bändchen aus der bibliophilen Reihe Naturkunden bei Matthes & Seitz.
Ich mag Krähen,
ich mag wie sie gehen, fliegen und sich anschreien,
ich höre auch ihr Krächzen gern.
Mit diesen Sätzen gleich zu Beginn der Einleitung hat mich Cord Riechelmann auf Anhieb gefangen. Krähen sind faszinierende, intelligente, schlitzohrige Tiere mit ausgeprägtem Sozialverhalten. Manche von ihnen sind begnadete Gleiter, Könige der Lüfte (wer jemals Kolkraben über felsigen Tälern kreisen sah, weiss wovon ich spreche), andere sind diebisch, verspielt oder linkisch und verschlagen. Alle Krähen sind Singvögel, wer hätte das gewusst, ihr Urahn stammt aus dem Regenwald und sie sind beileibe nicht nur schwarz.
Corvidae nennt sie der Wissenschaftler, auf deutsch Raben- oder Krähenvögel; beides ist möglich und richtig. Und Cord Riechelmann, Biologe, Hochschullehrer, Philosoph und Tierjournalist, hat ihnen diese liebevolle Natur- und Kulturgeschichte gewidmet. Den Einband in dunklem Anthrazit mit Rabenprägung, die schwarze Fadenheftung und den schwarzen Kopfschnitt hat Judith Schalansky beigesteuert und so ihr sicheres Händchen für Buchgestaltung erneut bewiesen. Doch dazu später noch mehr.
Sehr assoziativ, dabei charmant unsystematisch, aber immer anregend und kenntnisreich streift Cord Riechelmann durch die Welt der Krähen und Raben. Er berichtet über eigene Beobachtungen, erzählt von der Biologie, dem Verhalten und dem Einzug dieser interessanten und unterschätzten Vögel in die Mythologie, die Literatur, die Kunst. „Jeder kennt sie, kaum einer mag sie“, schreibt er, und das sowohl oder gerade weil diese Vögel als klassische Kulturfolger dem Menschen so nah sind.
Ein liebens- und lesenswertes Tierporträt
Ihr schlechtes Image rührt von ihrer schwarzen Farbe, ihrer (biologisch so nützlichen) Lust auf Aas und ihrer mangelnden Scheu. Kein Wunder, dass sie von je her in den Mythologien der Welt ihren Platz gefunden haben. Als Begleiter Odins (Beiname Hrafnáss – Rabengott) flüsten die Raben Hugin und Munin ihm alles ins Ohr, was sie tagsüber gesehen haben, und Hugin trinkt als Rabe des Schlachtfelds Sigurds Blut. In Richard Wagners Ring des Nibelungen werden sie von Brünnhilde losgeschickt, das Ende, die Götterdämmerung, zu verkünden. Die „diebische Elster“ ist sprichwörtlich, ebenso „die Krähe, die der anderen kein Auge aushackt“. In Hitchcocks Die Vögel attackieren sie unschuldige Kinder und ihr Krächzen wird, elektronisch verzerrt, zu einer unheilvoll-bedrohlichen Geräuschkulisse. Rabengekreische und Nebel, die unvermeidliche Zutat jedes Thrillers oder Gruselstreifens. Und auf einem der letzten Gemälde Vincent van Goghs kreisen sie als schwarze „Wundhaken“, als Todesboten, unter einem bedrohlichem Himmel über wogendem Weizen.
Jenseits der dunklen Mythen zeigt uns Riechelmann Vögel mit ausgeprägtem Spieltrieb, Erfindungsreichtum, eindrucksvoller Gedächtnisleistungen und liebenswürdiger Schlitzohrigkeit. Er erzählt von Krähen in Kanada, die Nüsse auf die Straße werfen, damit darüberfahrende Autos sie knacken. Und in Tokio verstärken Krähen ihre neuen Nester neuerdings mit Drahtbügeln, weil man versucht hat die alten mit Wasserwerfern zu zerstören. Krähen und Raben sind intelligent, fähig zu Abstraktion und überaus erfindungsreich beim Einsatz von Werkzeugen.
Auch Literaturkenner kommen auf ihre Kosten. The Raven von Edgar Allen Poe; unglaublich, zunächst, so berichtet Riechelmann, sollte es ein Papagei sein, der in dem berühmten Gedicht sein „Nevermore“ herauskrächzt; das wäre dann wohl der größte Flop der Literaturgeschichte geworden. Poe entschied sich zum Glück doch für den Raben. Ohne Raben auch kein Krabat von Ottfried Preußler; ein Buch, das mir als jungem Leser einst kalte Schauer über den Rücken jagte. Und und und …
Lehrreich, überraschend und informativ ist diese kleine Monographie, mit herrlich antiquierten Farbillustrationen und im hinterem Teil mit einem ausführlichen ornithologischen Krähenführer. Ich kann das kleine Bändchen immer wieder zur Hand nehmen, darin blättern und schmökern und mich einfach an ihm erfreuen.
Weil sie fast überall auf der Welt zu Hause sind, sind sie nirgendwo Exoten. Krähen bleiben mysteriös, ohne exotisch zu sein, was ein sehr seltenes Phänomen ist.
Ein Porträt – Aus der Reihe Naturkunden
Herausgegeben von Judith Schalansky
Flexibler Einband, 155 Seiten
Berlin: Matthes&Seitz 2013
ISBN: 978-3-88221-048-4
Mehr als nur Krähen – Die Naturkunden bei Matthes & Seitz
Krähen ist ein Kleinod der Buchkunst, kein zufällig gelungenes Einzelstück, sondern Teil einer wundervollen Reihe, die bei Matthes & Seitz verlegt wird. Für die Naturkunden ist Judith Schalansky verantwortlich, eine von mir spätestens seit dem Atlas der abgelegenen Inseln sehr geschätzte Autorin, Vorleserin und Gestalterin.
Über die Idee hinter der Reihe Naturkunden hat Judith Schalansky Denis Scheck für seine TV-Sendung Druckfrisch ausführlich Rede und Antwort gestanden. Da kann ich mir weitere Erklärungen sparen.
http://www.youtube.com/watch?v=aUFACnaYYsI
P.S.: Zu den rabenschwarzen Krähen haben sich in meinem Bücherregal mittlerweile störrisch-graue Esel gesellt. Es gibt auch noch flitz-silbrige Heringe und wald-braune Eulen.
Ganz nebenbei zeigt diese bibliophile Reihe, dass Kleinodien der Buchkunst auch im Zeitalter der E-Books immer bestehen können, weil sie mehr zu bieten haben als nur guten Inhalt; nämlich eine subtile Kombination aus Inhalt und Form. Ein weiterer Beleg dafür, dass analog manchmal doch besser ist als digital.