Reise zum Mittelpunkt der Erde – Gestartet vor 150 Jahren
Vor 150 Jahren hat Jules Verne Prof. Lidenbrock, seinen Neffen Axel und den isländischen Eiderentenjäger Hans auf eine Reise zum Mittelpunkt der Erde geschickt. Es wurde, neben der Kaptän-Nemo-Saga 20.000 Meilen unter dem Meer, Vernes berühmtester Roman und ein Klassiker der Weltliteratur. Das runde Jubiläum ist Anlass für eine kleine, sehr persönliche Kurzhommage.
Meine Karriere als Bücherverschlinger und -sammler begann, als ich 11 oder 12 Jahre alt war. Jules Verne war damals, Anfang bis Mitte der siebziger Jahre, eines der ersten Ziele meiner Begierde. Band für Band habe ich mir die oben abgebildete Fischer-Taschenbuch-Reihe vom Taschengeld abgespart; je nach Umfang kosteten sie 2,80 DM oder 3,80 DM, viel Geld für mich damals. Alle ein bis zwei Monate stapfte ich mit dem Ersparten in die örtliche Buchhandlung, die einzige am Ort, und erstand stolz ein neues Bändchen (manchmal, wie im Rausch, sogar zwei). Jules Verne war der Schriftsteller meiner Jugend, nicht wie bei vielen Altersgenossen Karl May.
Erst viel später musste ich lernen, dass die von mir so geliebte und mühsam zusammengesammelte Reihe nur gekürzte Texte präsentierte. Damals war das für den 12-jährigen Bücherverschlinger irrelevant und auch im Rückblick wenig tragisch, denn zumindest die Originalstiche der großen Hartlebenschen Ausgabe waren enthalten. Ach, wie haben mich diese magischen Schwarz-Weiß-Bilder an- und eingesogen!
Er ist wieder da! Jules Verne hat das Kap der kritischen Jahrzehnte, die nach dem Tode des Autors jedem literarischen Werk drohen, umfahren und er ist das geworden, als was ihn Kenner immer wieder bezeichnen: ein Klassiker.
Neue Zürcher Zeitung
Mit diesem Zitat wurde damals auf dem Rücken der Fischerbändchen geworben. Erst viele Jahre später sollte ich einen Schriftsteller kennenlernen, der diesen Klassiker Verne und seine Motiv-Welten beim Wort und sehr ernst genommen hat: Arno Schmidt.
Vorgreifer und Nachahmer, wohin man schaut. Die Regentrude von Storm sei ohne Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde undenkbar, behauptet Schmidt, Edgar Allen Poe, den Schmidt übersetzt und in Zettel’s Traum ein (psychoanalytisch verzerrtes) Denkmal gesetzt hat, sei wiederum der große Anreger Vernes gewesen, die Eisspinx eine zwangsläufige Fortsetzung des Gordon Pym. Hinter und unter allen Holbergs Nils Klim. Schmidt selbst gesteht, Anregungen von Verne erhalten zu haben: am auffälligsten in der Gelehrtenrepublik mit ihrer Verneschen Propellerinsel. Und in Tina oder über die Unsterblichkeit existiert unter der Litfasssäule an der Darmstädter Inselstrasse ein weitverzweigtes, unterirdisches Höhlen- und Höllen-Elysium. Auch Tieck und seine Reise ins Blaue, eine Hohl- und Unterweltenphantasie. Und Karl May? Nun, der sei schließlich besessen davon gewesen, seine Helden immer wieder in dunkle, tiefe (und feuchte) Höhlen eindringen zu lassen.
VERNE also ein fleißiger Mann von rund 60 Romanen hat als Erster & bisher noch Umfassendster den Groß-Nachweis geführt: wie die Errungenschaften des Technikers – man darf auch Ingenieur sagen, Wissenschaftler, Forscher-allgemein – nicht nur poesie-zerstörend wirkten, sondern vielmehr unerhört neue-reiche Gebiete dem Dichter eröffneten! … Aber nun direkt »schreiben wie er«? : Jamais!
Arno Schmidt
(Seltsam wie sich die Kreise in Literaten- und Leserleben formen und schließen; Verne, May, Poe, Joyce, Wieland und andere, Schmidt immer in der Mitte. Doch das ist eine andere Geschichte. Nachzulesen in: Arno Schmidt; Dichter & ihre Gesellen: Jules Verne. Bargfelder Ausgabe der Werke, Bd. III.4, S. 413-426.)
Alles hohl – Das Innere der Welt(en)
Es geht hinter mir, unter mir hohl, hörst du? Andres, alles hohl da unten.
Georg Büchner, Woyzeck
In der Rubrik Einestages sinniert Susanne Wedlich auf SPIEGELonline über Verne und die Hohlwelttheorie. Sie folgt dabei, ohne ihn allerdings zu nennen, einigen Linien, die bereits Arno Schmidt gezogen hat (bis hin zu Bulwer-Lytton, den Schmidt übersetzte und dem er kleinere Denkmäler setzte (Déja Vue?! Poe?! – Alles wiederholt sich)). Ein wenig verquer, nicht immer logisch ist dieser Aufsatz, aber lesenswert; zeigt er doch, wie Jules Verne vor 150 Jahren etwas aufgegriffen und weitergegeben hat, das bis heute fasziniert, die Phantasie anregt und Menschen fesselt.
CD-ROM der »Digitalen Bibliothek« – Alle 99 Bände der »Großen Hartlebenschen Ausgabe« von 1871 bis 1911. Mit vielen zusätzlichen Texten und Dokumenten und inklusive sämtlicher Illustrationen der französischen Originalausgaben in hoher Auflösung. Ein Schatz, der leider nur noch antiquarisch gehoben werden kann.