Quick ‘n‘ dirty – Ein Kurzkommentar zur Shortlist 2017
Nein, die Tatsache, dass Suhrkamp gleich dreimal (und Hanser (immerhin) zweimal) auf der Shortlist 2017 vertreten ist, mag ich nicht kommentieren, auch nicht, dass »nur« zwei Frauen gegen vier Männer antreten. Die Jury wird das (hoffentlich) weise bedacht haben. Und weil der Buchpreis den »besten deutschsprachigen Roman« auszeichnen möchte, ist es auch wumpe, ob die AutorInnen nun aus Österreich, aus der Schweiz oder sonst wo herkommen (ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht und ob oder für was der entscheidend sein könnte, möchte ich (hier) ebenfalls nicht vertiefen). Mit diesem Absatz wären Topthemen, die das (Groß)Feuilleton ausgiebig (und bemüht kontrovers) diskutiert, schwuppdiwupp (beinahe) erledigt. Beinahe, weil Felix Philipp Ingold nämlich heute auf NZZ-Online vorschlägt: »Schafft die Jurys ab!«, lasst die Leser entscheiden, per Klick und »Leik«. (Wäre wagemutig, zumindest anders, ob auch besser? Das wage ich nicht einzuschätzen.)

Diesmal jedenfalls durfte beim Buchpreis die Jury nochmal ran und sie krönte (zum ersten) Thomas Lehr endgültig zum Shortlist-Poster-Boy der anspruchsvollen Literatur (oder zumindest des Deutschen Buchpreises). Ich bin wahrlich ein Freund herausfordernder Bücher, aber 640 Seiten ohne Absatz (nachdem zuvor einer seiner Romane ohne Satzzeichen auskam)? Schon die Leseprobe zu »Schlafende Sonne« verlangt höchste Konzentration und die ist nur schlappe drei Seiten lang. Was passiert wohl auf den 637 übrigen? Passiert überhaupt etwas? Ich lese und überprüfe das später irgendwann, wenn ich Urlaub habe oder einfach viel (zu füllende) Freizeit oder Rentner bin. (Künftige Listenplätze sichert sich Herr Lehr, indem er seinen diesjährigen Beitrag zum Startpunkt eines Großprojektes erklärt und weitere Bände »nachschieben« will.)
Zu Franzobel (zum zweiten) habe ich alles notwendige gesagt. Schauen Sie bitte hier und lesen Sie dann umgehend den Roman. Robert Menasse (zum dritten) und sein Brüssel-Buch haben mir vergnügte Lesestunden verschafft. Eine ernüchternde Analyse der zerrotteten EU-Bürokratie (ohne Schongang) und flämmelnder Appell, das schnellstens zu korrigieren; ein durchgehend bissig-ironischer Text, der neben prächtiger Unterhaltung reichlich Nachdenk-Stoff (so man den will) bietet. (In Bälde mehr dazu in diesem Medium.)
Wenn Franzobel (siehe oben) mit »Das Floß der Medusa«, wie ich aus Diskussionen im persönlichen Umfeld (dem näheren und dem weiteren) heraushören durfte, ein Buch »eher so für Männer« geschrieben hat, dann liefert (ich horche erneut in persönliche Umfeld-Diskussionen) Sasha Marianna Salzman (zum vierten) das Gegenstück »eher so für Frauen«. Sehr gefühlig, sehr nachdenklich, sehr schwebend, aber leider auch irgendwie unfertig, finde ich »Außer sich« (nicht nur als Mann). Vorerst abgebrochen nach gut 100 Seiten, verspreche ich dem Titel hiermit aber eine zweite Chance. Marion Poschmann (zum fünften) liefert in »Die Kieferninseln« ein ansprechend-exotisches Japan-Setting und mit einem Bartforscher (einem Pogonologen!) und einem jungen Suizidalen, dem die Selbsttötung partout nicht gelingen will, eine vielversprechende Figurenkonstellation. Das mag ich noch lesen.
Bleibt (zum sechsten) Falkners »Romeo oder Julia«. Ich schätze Gerhard Falkner (aufgrund des zugegeben kleinen Ausschnittes, den ich von seinem dichterischen Werk überblicke) als Lyriker, als Romancier aber hat er mich mit seinem Vorjahres-Longlist Titel »Apollokalypse« (ein Roman der wenig mehr will, als in jedem Absatz zu beweisen, wie (ober)klug sein Autor ist und wie mühelos er mit Worten jonglieren und (Haupt- und Neben- und Neben-Neben-)Sätze schrauben kann) derart maßlos enttäuscht und ennuyiert, dass ich mich auf absehbare Zeit seiner Prosa entziehe. Basta.
Die geschätzten Buchpreis-Blogger-KollegInnen (um in der von aussen (mitunter) hass-geliebten Bloggosphäre zu bleiben) finden in diesem Jahr ein Spielfeld mit weniger Hindernissen vor. (2015 und 2016, als ich die Ehre besaß, dabei sein zu dürfen, sah der Parcour (gefühlt) kniffliger aus.) Die shortgelisteten Titel sind heuer alles in allem irgendwie geschmeidiger. Wobei: als 2015 Frank Witzel durchmarschierte bis zur Krönung im Römer, war das auch der Sieg einer Literatur abseits ausgetretenen Pfade. Vielleicht gehörte deshalb Witzels Teenager damals meine Sympathien von Anbeginn an. In diesem Jahr hätte Jakob Nolte ähnliches mit ähnlichem erreichen können. Den hätte ich mit seinem störrig-kantigen, witzel-wallace-mäßigen »Schreckliche Gewalten« gerne auf der Shortlist gesehen, allen stöhnenden BuchhändlerInnen (»Den können wir aber nicht verkaufen!«) zum Trotz. Denn verkaufen ist bei Literatur (und beim Buchpreis) eben nicht alles. In diesem Sinne weiter fröhliches Lesen, dies- und jenseits von Long- oder Shortlisten. Und nichts für ungut.
P.S.: Dieser (Schnell-und-schmutzig-Beitrag) wurde von einer Fee mit dem Klammerbeutel gepudert; ihr und mir war danach, sorry.
Bildnachweis: Die Titel der Shortlist | Beide Fotos: Petra Gass / Börsenverein | Quelle: Deutscher Buchpreis
15. September 2017 @ 17:09
Ich habe von diesjährigen Longlist zwar schon zehn Titel, aber interessanterweise noch nichts von der Shortlist gelesen.
Kommt aber noch, am Tag der Shortlistverkündung wußte ich daher, außer daß ich gerne Zaimoglu https://literaturgefluester.wordpress.com/2017/03/26/evangelio/ als Sieger hätte und ihn auch schon vor zwei Jahren auf die Shortlisthttps://literaturgefluester.wordpress.com/2015/09/26/siebentuermeviertel/wünschte, nicht genau, was daraufstehen sollte.
“Das Jahr der Frauen”https://literaturgefluester.wordpress.com/2017/08/25/das-jahr-der-frauen/ hat mir zwar gut gefallen, das “Singen der Sirenen”https://literaturgefluester.wordpress.com/2017/09/15/das-singen-der-sirenen/ teilweise auch und über den Prosserhttps://literaturgefluester.wordpress.com/2017/09/07/phantome/ war ich sehr erstaunt, daß er seit er bei “Ullstein” ist, viel gefälliger schreibt.
Da war ich gerade mit dem Regener https://literaturgefluester.wordpress.com/2017/09/14/wiener-strasse/beschäftig und denke jetzt, da ich damit fertig bin, das wär für mich ein Shortlistbuch und schade, daß.. und verkauft hätte es sich zumindest in Berlin sicher auch sehr gut.
Gegen die Shortlist habe ich aber nichts, Franzobel, den ich ja als Wienerin sehr gut kenne und mit ihm auch in einer Jury sitze, habe ich schon bei zwei Lesungen aus dem Buch gehört und da denke ich auch, ein toller Schreiber, aber “Kanibalismus” interessiert mich eigentlich nicht so sehr, auf Menasse und sein Schwein bin ich schon sehr gespannt und freue mich auf das Lesen, bei Lehr wäre ich das auch, weil ich da sehr viel Widersprüchiges hörte, aber leider werde ich mir das Buch höchstens zun Geburtstag wünschen können, wie vor zwei Jahren den Witzel https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/11/13/die-erfindung-der-roten-armee-fraktion-durch-einen-manisch-depressiven-teenanger-im-sommer-1969/, vielleicht tue ich das auch. Auf das Debut der Saha Mariana Salzman bin ich jebenfalls schon sehr gespannt und den Gerhard Falkner, der mir im Vorjahr https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/10/02/apollokalypse/, glaube ich, ebenfalls nicht so sehr gefallen hat, werde ich demnächst lesen, das, was ich bisher über das Buch hörte, interessiert mich aber sehr, liebe Grüße aus Wien beziehungsweise Harland bei St. Pölten, wo es auch eine Wiener Straße gibt und wie waren die Eindrücke von Uwe Timms “Ikarien”?
15. September 2017 @ 11:41
Lieber Jochen, vielen Dank! Jetzt weiß ich ganz sicher, was ich nicht lesen werde. Und so bleiben die Romane von Menasse und Poschman. Auf beide Bücher freue ich mich sehr. Bei Sasha Marianna Salzmann bin ich vor einiger Zeit ebenfalls nach etwa ca. 100 Seiten ausgestiegen und versuche es gerade ein zweites Mal. Ein verrückter vielschichtiger Text. Es fällt nicht ganz leicht, dran zu bleiben. Bin gespannt, ob dir das beim zweiten Versuch gelingen wird. Überhaupt – es war spannend, zu lesen, wie du die sechs Titel bewertest. Beim nächsten Mal gern mit ein paar weniger Klammern 🙂
Schöne Grüße!
13. September 2017 @ 18:34
Danke für den Beitrag, Jochen! Ich hatte auch Jakob Nolte alle verfügbaren Daumen gedrückt. Leider sollte es nicht sein, wer weiß was zu der Entscheidung geführt hat. Da kann man nur im Trüben fischen, aber schade bleibt es.
Bei Franzobel haben mich die handwerklichen Fehler zu sehr gestört, und Juliane ist mit AUSSER SICH auch nicht komplett warm geworden. Damit scheinen wir die Gender-Geschmäcker aber mal ordentlich gegen den Strich zu bürsten, wenn es sowas denn gibt!
Der Rest bleibe noch zu lesen – mal sehen …
13. September 2017 @ 20:06
Wie gesagt, Stefan, ich mag “Die Hauptstadt” von Robert Menasse sehr. Die Gender-Geschmäcker? O.K., die waren eher ironisch in den Ring geworfen, obwohl mehrheitlich im Bekanntenkreis so wahrgenommen. – Die handwerklichen Fehler, ich hab’s in Deinem Beitrag gelesen, verzeihe ich Franzobel. Das Buch ist sehr stark, weil es eine historische Katastrophe glaubwürdig in unsere Zeit hievt. Das was damals auf dem Floß passierte, ist heute ebenso denkbar. (Ganz abgesehen von den Bezügen zu den Flüchtlingsbooten im Mittelmeer und dem “Kapitänsberater”, der wie ein Trump daher kommt.) lg_jochen
20. September 2017 @ 23:18
Danke, Jochen, “Die Hauptstadt” ist nun definitiv auf meiner Liste. Habe bisher nur “Selige Zeiten, brüchige Welt” gelesen und fand es ziemlich gut. Liebe Grüße!