Das große Longlist-Lesen kann beginnen – Die Romane zum Deutschen Buchpreis 2015 sind nominiert
Nun ist sie raus, die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2015. Von 167 eingereichten Titeln hat die Jury 20 ins Rennen geschickt um den Preis für den „besten deutschprachigen Roman des Jahres“. Über diese Auswahl darf nun in guter alter Buchpreistradition (wahlweise) gejubelt oder gemeckert werden, gezählt, gewogen, statistisch erfasst und schnellschuss-kritisiert. Ach, ich liebe dieses Spiel! Und diesmal nehme ich sogar eine besondere Position im zentralen Mittelfeld ein. Denn lustauflsen.de ist ja bekanntlich einer von sieben Buchpreisbloggern, die in Kooperation mit dem Buchpreises, die Listen, die lange wie die kurze, bis zur Siegernennung kritisch begleiten und kommentieren. Hier geht’s zur Vorstellung der Buchpreisblogger.
Hier das Wichtigste: die nominierten sieben Autorinnen und dreizehn Autoren (in alphabetischer Reihenfolge) und ihre Werke.
Alina Bronsky: Baba Dunjas letzte Liebe (Kiepenheuer & Witsch)
Ralph Dutli: Die Liebenden von Mantua (Wallstein)
Jenny Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen (Knaus)
Valerie Fritsch: Winters Garten (Suhrkamp)
Heinz Helle: Eigentlich müssten wir tanzen (Suhrkamp)
Gertraud Klemm: Aberland (Droschl)
Steffen Kopetzky: Risiko (Klett-Cotta)
Rolf Lappert: Über den Winter (Carl Hanser)
Inger-Maria Mahlke: Wie Ihr wollt (Berlin Verlag)
Ulrich Peltzer: Das bessere Leben (S. Fischer)
Peter Richter: 89/90 (Luchterhand)
Monique Schwitter: Eins im Andern (Droschl)
Clemens J. Setz: Die Stunde zwischen Frau und Gitarre (Suhrkamp)
Anke Stelling: Bodentiefe Fenster (Verbrecher Verlag)
Ilija Trojanow: Macht und Widerstand (S. Fischer)
Vladimir Vertlib: Lucia Binar und die russische Seele (Deuticke)
Kai Weyand: Applaus für Bronikowski (Wallstein)
Frank Witzel: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 (Matthes & Seitz)
Christine Wunnicke: Der Fuchs und Dr. Shimamura (Berenberg)
Feridun Zaimoglu: Siebentürmeviertel (Kiepenheuer & Witsch)
Mein erstes, ganz spontan aus dem Bauch heraus gefälltes Urteil: im Jahr 2015 beschert die Jury uns Lesern eine sehr breit gefächerte, vielstimmige Auswahl, die spannende, überraschende und auch erwartbare Titel bereithält. Es gibt es viel zu entdecken, denn die deutschsprachige Literatur findet ihre Themen in der ganzen Welt.
Die ausgewählten Autoren und Autorinnen nehmen sich der Seelendramen afrikanischer Flüchtlinge an, entführen uns in die Weiten Afghanistans oder in die engen Gassen eines Istanbuler Armenviertels. Zugleich bleibt diese Literatur ganz bei sich, indem sie in mal utopischer, mal dystopischer, mal schelmischer, mal dokumentarischer Manier von ersten und letzten Dingen erzählt und den Platz des Individuums in einer Welt verhandelt, die zugerichtet ist durch die kapitalen Ströme des Geldes sowie repressive Systeme der Macht.
(Jurysprecherin Claudia Kramatschek in der Presserklärung zur Longlist)
Sehr schön und von mir (heimlich) mit einem verhaltenen-ausgelassenen Freudentänzchen im Bloggerbüro gefeiert; Mit den Romanen von Frank Witzel und Clemens Setz haben es diesmal auch zwei wirklich „verrückte, dicke Dinger“ auf die Liste geschafft. Experimentelle und herausfordernde Literatur hatte es in den vergangenen Buchpreis-Jahrgängen nicht eben leicht. Für mich war bereits zur Lektüre-Halbzeit Witzels Roman Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 eines der, wenn nicht gar das Buch des Jahres.
Ein grandios komponierter Roman, in dem sich formale Struktur und Inhalt so zwingend und notwendig gegenseitig bedingen, wie ich es selten zuvor erlebt (erlesen) habe. Das Buch ist sowohl aberwitziges Schelmenstück, als auch übergenaue Alltagsgeschichte unseres Landes.
Viele nominierte Titel sind bei kleinen unabhängigen Verlagen erschienen, so auch der von mir so geschätzte Frank Witzel bei Matthes und Seitz. (Ich gebe freimütig zu: vom Grazer Droschl Literaturverlag, der gleich zwei Nominierte stellt, habe ich noch nie etwas in der Hand gehabt, geschweige denn gelesen. (Das ändert sich jetzt.)) Es ist also an der Zeit die Indies nicht weiter zu belächeln. Ja, einige schieben sie immer noch in die Nische. Doch sie leisten engagierte Arbeit und viel Herzblut fließt bei den Kleinen in anspruchsvolle, gute Literatur und den Aufbau vielversprechender Autoren. Natürlich tummeln sich auch die Platzhirsche auf der Liste: schließlich hat Suhrkamp in der Buchpreishistorie bislang die meisten Shortlist-Titel (11) gestellt und Hanser die meisten nominierten Titel auf der Longlist (26). Bei den Siegertiteln teilt sich Suhrkamp Platz 1 mit Jung und Jung (hah, schon wieder ein großer Kleiner) beide stellten je zweimal den Gewinner.
Auf meinem Stapel der ungelesenen Bücher liegen bereits: Valerie Fritsch Winters Garten und (virtuell, da erst Anfang September erhältlich) Clemens Setz Die Stunde zwischen Frau und Gitarre. Fest vorgemerkt zur Lektüre hatte ich mir: Heinz Helle: Eigentlich müssten wir tanzen und Jenny Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen. Beinahe alle übrigen Titel sind auch für mich noch kleine Wundertüten, von denen ich allenfalls Klappentexte und Waschzettel kenne. Aufregend wird’s und abenteuerlich: soviel steht fest. Eine spitze Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen: wie in meiner großen Bußpredigt neulich schon vorhergesagt (und ein wenig befürchtet), ist Peter Richter mit 89/90 auch nominiert. Lang lebe die DDR, ohne die es beim Buchpreis eben nicht geht.
Noch zwei Tipp: Hörproben der Longlist-Titel sind ab sofort auch beim Digitalradio detektor.fm, Leipzig, abrufbar. Man kann ihnen auch direkt auf der Webseite des Buchpreises lauschen, unmittelbar bei den jeweiligen Buchtiteln.
In wenigen Tagen sollte auch die beliebte Leseproben-Anthologie erhältlich sein mit Romanauszüge und Kurzportraits der 20 Longlist-Kandidaten. Welche Buchhandlung in Eurer Nähe das kleine, liebevoll hergestellte Lesebüchlein anbietet, könnt Ihr mit Hilfe der interaktiven Karte der Buchhandels-Suchmaschine von Vorsicht Buch! herausfinden.
Alle Leserinnen und Leser sind herzlich eingeladen, mit uns Buchpreisbloggern die nominierten Titel zu entdecken, mit uns zu diskutieren und fair zu streiten.. Lest und kommentiert die Artikel auf den folgenden Seiten.
buchrevier – Tobias Nazemi | Buzzaldrins Bücher – Mara Giese | Kaffeehaussitzer – Uwe Kalkowski | Klappentexterin – Simone Finkenwirth | lustauflesen.de – Jochen Kienbaum | masuko 13 – Jacqueline Masuck | Sätze & Schätze – Birgit Böllinger
Außerdem verweise ich auf die Facebookseite des Deutschen Buchpreises. Hier werden alle Beiträge gesammelt und natürlich darf und soll dort ebenfalls engagiert diskutiert und komentiert werden.