Only Revolutions – Der Roman mit dem Dreh
Anmerkungen zu einem ungewöhnlichen Buch. (Wiederholter Anlauf …) Beim ersten Blättern … Überraschung, Faszination … dann: Ratlosigkeit, Unverständnis. Nochmals anlesen! … „Endlich entsprungen! Ich kann alles hinter mir lassen. Alle lieben den Traum, aber ich töte ihn. (…) Ich befreie mich aus dieser Tretmühle. Voll Feuer. Entflamme eine Brise. Ich werde die Welt verwüsten. Kein Problem.“ … Das Buch herumdrehen … Hinten geht es wieder von vorne los. Oben wird die Schrift immer kleiner, unten (auf dem Kopf stehend) immer größer … Ist das ein Gedicht, ein Epos, ein Roman? … Was bedeuten die historischen Daten, gelistet in einer langen Marginalie? … Das Buch weglegen!!! … Doch nicht gut?! Dann doch wieder hervorgeholt … Das sind zwei Bücher in einem! Oder ein Buch in zweien?! … Oder??!! … Dennoch: langsam wächst das Vergnügen. Ist irre, dieses Buch, verrückt, durchgeknallt … und doch, ich merke es irgendiwe, so sorgsam geplant und geordnet … Die Geschichte von Hailey & Sam … Sam & Hailey … Die Geschichte von zweien. — Mit Only Revolutions treibt Mark Danielewski nach Das Haus. House of Leaves seine Leser noch näher heran an die Grenzen der Literatur. Achtung: das ist kein gewöhnlicher Roman, das ist ein sprachgewaltiges Spiel, ein vieldimensionales Puzzle. Wer sich auf Only Revolutions einläßt, wird/kann seinen Spaß haben oder aber nicht. Dieses Buch polarisiert … man wird es lieben oder hassen … mir gefällt es sehr.
Zur Geschichte: eigentlich ganz einfach. Sam & Hailey, beide 16 Jahre alt und ein Liebespaar, fahren mit dem Auto durch die USA. Fertig! Doch sie sind nicht nur ein Liebespaar, sie sind DAS Liebespaar, sind Tristan & Isolde, Romeo & Julia …. sind alle Liebespaare dieser Welt … und sie fahren nicht nur durch die USA, sie fahren durch die Geschichte, sind hier und überall, sind gestern, heute und morgen. Das Auto, in dem sie sitzen wechselt ununterbrochen Marke und Typ, ist alle Autos der Welt. Tiere begleiten Sam, alle Tiere dieser Welt, in endloser Reihung. Hailey wird von Pflanzen umrankt, allen Pflanzen dieser Welt, in endloser Reihung. Sam erzählt die Geschichte von vorne nach hinten … Hailey von hinten nach vorne … oder umgekehrt. Eine Geschichte voller pubertärer Allmachtsphantasie, Anarchie, Chaos und Gewalt, eine Geschichte mit viel hemmungslosem Sex und Pornographie, befeuert durch Drogen aller Art. Sam & Hailey gehört die Welt … Sam & Hailey sind die Welt. Zwei Teenager, um die sich alles dreht, die sich um alles drehen. Zwei Körper im All, in ständigem Kreisen, Only Revolutions.
Die Erzählung ist auf der inhaltlichen Ebene rauschhaft-explosiv, ihre formale Gestaltung dagegen streng organisiert, auch wenn es zunächst nicht so scheint. Die Buchseiten sind horizontal halbiert, eine Hälfte steht jeweils auf dem Kopf. Oben erzählt Sam, unten Hailey oder vice versa. Ein Buch mit zwei Titelseiten, zwei Erzählsträngen zwei Erzählern; 360 Seiten für Sam; dann das Buch herumdrehen und 360 für Hailey; macht zusammen zwei volle Umdrehungen im Winkelkreis. Jede Doppelseite besteht aus jeweils 4 Cantos mit jeweils 90 Worten; macht zusammen 360, also eine Umdrehung im Winkelkreis pro aufgeschlagener Doppelseite. Nach jeweils 8 Seiten, so empfehlen es Autor und Verlag, sollte der Leser jeweils die Erzählung wechseln, also von Sam zu Hailey und dann wieder zurück. Denn nach 8 Seiten (gleich 16 Cantos, gleich 4 Umdrehungen) finden sich Zäsuren, so erzählt zu Beginn in einem achtseitigem Jubelschrei erst Sam von der ersten Begegnung mit Hailey … Buch herumdrehen … nun jubelt Hailey (acht Seiten lang) über das erste Treffen mit Sam. Gleichzeitig beginnt jedes 16. Cantos (also nach acht Seiten) mit einer Versalie. die wiederum ergeben aneinandergereiht das Wort SamandHaileyHaileyandSam. Wenn Sam erzählt ist der (kreisrunden!!) Buchstabe o blaugrün gefärbt; Sams Augenfarbe. Bei Hailey sind die Augen goldgelb, und somit im gesamten Hailey-Text jeweils auch der Buchstabe o (alle natürlich kreisrund).

Aus dem amerikanischen Englisch von Gerhard Falkner und Nora Matocza
Gebunden, 365 Seiten
Stuttgart: Tropen bei Klett-Cotta 2012

Der Leser kann noch viele weitere typographische Spielereien im gleichzeitig immer wieder changierenden Layout entdecken, wenn er sich auf Danielewskis Puzzle einläßt, und den ausgelegten Spuren im Textlabyrinth folgen mag. Allein die oben bereits erwähnten Datumsangaben mit kurzen (oft eher verkürzten) Angaben zum jeweiligen historischen Ereignis an eben jenen Tagen laden ein zur begleitenden Recherche und Vertiefung. Hier ist die amerikanische und die Weltgeschichte Sam & Hailey immer dicht auf den Fersen. Sie reisen immer weiter und erleben 2 * 100 Jahre: vom amerikanischen Bürgerkrieg bis zum Kalten Krieg, von der Bürgerrechtsbewegung bis zum Irakkrieg … und vieles mehr. (Alles was in der Zukunft liegt, ja auch solche Datumsangaben gibt es, bleibt natürlich weiße Fläche, bleibt frei als Raum für eigene Projektionen.) Der im Vergleich zur deutschen Ausgabe längere Originaltitel gibt Hinweise darauf, wie das zu verstehen ist: Only Revolutions. The Democracy of Two Setout & Chronologically Arranged.
Ein irrwitziger Text mit schier endlosen Assoziationsketten, in ständiger Umdrehung … revolutionär im wahrsten Sinne. Gelobt, ja, bejubelt werden muss an dieser Stelle natürlich auch die ingeniöse deutsche Übersetzung … Was Nora Matocza & Gerhard Falkner hier (sprachschöpferisch, lautmalerisch und syntaktisch) geleistet haben, ist schlichtweg phantastisch. Only Revolutions ist kein gewöhnlicher Roman, keine stringent erzählte Geschichte; dieses Buch ist wie die Partitur zu einer großen, dröhnenden Kopf-Kino-Symphonie; es spricht in ganz eigener (Fremd)Sprache zum Leser, fordert ihn, strengt ihn an und kann ihn, wenn er will, auch glücklich machen. Dieses Experiment, nämlich den Roman formal und inhaltlich an seine Grenzen zu pushen, ist Mark Danielewski (nach Das Haus. House of Leaves erneut) gelungen.