Was bisher geschah – Eine kleine Link-Umschau kurz vor der Longlist
Am Mittwoch, den 19. August 2015, ist es soweit. Dann wird um 11 Uhr die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2015 bekanntgegeben. Nicht nur die sieben Buchpreisblogger warten gespannt darauf, welche 20 Autoren die Jury in den ersten Vorlauf des diesjährigen Wettbewerbes schickt. 167 Romane haben 110 deutschsprachige Verlage in diesem Jahr eingereicht: 90 aus den Frühjahrsprogrammen 2015, 66 aus den aktuellen Herbstprogrammen und 11 Titel aus den Programmen des Herbstes 2014. Soviel zur Statistik. Noch wissen wir Leser nichts über die Auswahl der Jury, aber wir können spekulieren, raten in die Glaskugel schauen.
Buchpreisblogger-Kollegin Mara hat auf Buzzaldrins Bücher mögliche Favoriten gecheckt. Ihr Fazit:
Im vergangenen Jahr habe ich mir die Mühe gemacht, ein paar Statistiken zu den vergangenen zehn Jahren Deutscher Buchpreis zu erstellen. Wenn man darauf heutzutage noch einmal einen Blick wirft, dann müsste man zu dem Schluss kommen, dass man die meisten Chancen auf einen Platz auf der Longlist hat, wenn man männlich und mitteltalt ist und seinen Roman bei einem der großen Verlage (Hanser, Suhrkamp, Rowohlt) veröffentlicht hat.
Auch die Buchbloggerin Friederike hat die Programme vieler Verlage durchforstet und Ausschau nach preiswürdigen Kandidaten gehalten, wobei, wie sie schreibt, »ich allerdings nur die Verlage berücksichtigt habe, die in den vergangenen Jahren auf der Longlist vertreten gewesen sind. Herausgekommen ist folgender (rein subjektiv ausgewählter) Überblick.« Friederikes Auswahl listet zwar auch einige Bücher, denen ich eher wenig bis gar keine Chancen für einen Longlistplatz einräume, aber bei überraschend vielen Titeln stimmt sie mit Mara und mir recht gut überein.
Ich selbst habe wenig Lust zu einem privatimen Vorauswahlverfahren verspürt; War mir das zu viel Arbeit, ist das zu viel Spekulation? Ich weiß nicht! Vielleicht war ich einfach nur zu faul. Dennoch, einen Titel will und muss ich hier nennen: Frank Witzel, Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 (erschienen bei Matthes & Seitz, Berlin). Wenn dieser ebenso witzig-verschrobene wie genial-kostruierte Roman keinen Platz auf der Longlist erhält, bekommt die Jury ein (erstes) ernsthaftes Problem mit mir. Meinem Halbzeitbericht zur Lektüre dieses kurzweiligen, mitunter auch herausfordernden 800-Seiten-Psychogramms der Bundesrepublik habe ich das abschließende Spielprotokoll noch nicht hinzugefügt, das wollte ich zwingend der Diskussion zur Longlist vorbehalten. Also, wehe, Witzel wird umgangen!
Um ganz, ganz ehrlich zu sein, auch einem weiteren Lieblingsbuch der vergangenen Monate gönne ich von ganzem Herzen einen Platz auf der Longlist. Jürgen Bauer und seinem Roman Was wir fürchten. Schaun wir mal!
Ein kurzer Blick zurück
Nicht nach vorn, sondern zurück (und dann doch wieder nach vorn) schaut Kaffeehaussitzer Uwe; und zwar auf den Vorjahressieger Kruso von Lutz Seiler, der ihm »ein echtes Leseerlebnis, ja einen Leserausch der Sinne bescherte«. Einige Wochen bevor Seiler den Buchpreis erhielt, schrieb Uwe:
Lutz Seiler hat mit diesem Buch ein Denkmal geschaffen. Ein Denkmal für die Menschen, deren Suche nach Freiheit stärker war als staatliche Zwänge. Für die Menschen, die sich inmitten einer Welt, zu der sie nicht gehören wollten, ihre eigene Welt schufen. Und für diejenigen, die noch einen Schritt weiter gingen und das mit ihrem Leben bezahlten: Die vergessenen Toten der Ostsee.
Der Buchpreis – Nur ein Marketinginstrument?
Der Deutsche Buchpreis, der mit seinem Weg über die Long- und die Shortlist den »besten deutschsprachigen Roman des Jahres« bestimmt, bestimmen möchte, ist nicht unumstritten. Das liegt in der Natur der Sache. Eine Auswahl (auch eine durch eine siebenköpfige Jury) ist immer subjektiv und stützt sich auf (selbstaufgelegte) beschränkende und einengende Kriterien. Bereits 2008, kurz bevor der Preis zum viertenmal verliehen wurde, entwickelte sich eine heftige Debatte über den Sinn des Preises und seine Modalitäten. So kritisierten Daniel Kehlmann und andere Schriftsteller die willkürliche Auswahl und ihre gänzlich »außerliterarischen Kriterien«. Der Kritiker Wolfram Schütte (der unlängst auch die weiterhin virulente Perlentaucher-Literaturdebatte angeschoben hat) bezeichnete den Buchpreis als Marketinginstrument, das »vor allem den bestsellersüchtigen Buchhandelsketten« nütze. Dem entgegengehalten wurde (und wird bis heute) die Notwendigkeit, qualitativ anspruchsvolle Literatur Popularität zu verschaffen.
Ralf Rothmann, dessen Roman Im Frühling sterben von der Kritik hoch gelobt und von vielen Lesern sehr geliebt wird, hat sich dem Buchpreis konsequent verweigert. Dem Stress und Rummel des Preises möchte er sich »Lieber nicht!«, so Rothmann, aussetzten und bat den Suhrkamp Verlag, seinen Roman keinesfalls einzureichen. Buchpreisblogger-Kollege Tobias hat sich im Buchrevier auch so seine Gedanken über die Marketingstrategien – und Tricks des Preises gemacht. »Was muss ein anspruchsvoller literarischer Roman mitbringen und wie muss er aufbereitet sein, damit er sich gut vermarkten lässt?« fragt er sich und warnt, noch bevor er Antworten gibt, augenzwinkernd vor »Spuren grober Verallgemeinerung«.
Fragen … und Antworten
Wo wir gerade bei Fragen sind: Was berichten eigentlich Preisträgerinnen und Preisträger über die Zeit nach der Ehrung? Ändert sich etwas im Leben und Arbeiten? Wir als Buchpreisblogger haben Siegerinnen und Sieger der vergangenen Jahre angeschrieben und um Auskunft gebeten. Julia Franck (Deutscher Buchpreis 2007 mit Die Mittagsfrau) hat als eine der ersten geantwortet und gesteht: »Hätte ich 2007 ahnen können, was dieser Preis an Aura leidenschaftlich aufbläst und zerstört, hätte ich ihn vielleicht auch gemieden.« Soweit, den Preis wegen seiner Marketingaspekte in Bausch und Bogen zu verdammen, geht sie aber nicht:
Die französischen und britischen Literaturpreise sind von jeher auch marktwirksam, was einfach an ihrer Vernetzung liegt. Das waren andere deutsche Literaturpreise nie. Es kann ja nicht falsch sein, wenn Preise auch öffentlichkeitswirksam und nicht nur die Literatur im inzestuösen Dickicht der Feuilletons feiern.
Im Jahr 2013 hat Terézia Mora für Das Ungeheuer den Deutschen Buchpreis erhalten. Auch sie hat nach dem medienträchtigen Rummel um die Preisverleihung keine weitreichenden Einflüsse auf ihr Leben und auf ihre Arbeit festgestellt, wie sie im Interview mit Mara bei Buzzaldrins Bücher verraten hat.
Ich hatte auch das Glück, dass es von Seiten der Presse schon vor dem Preis reges Interesse für das Buch vorhanden war, es kamen also auch nicht wesentlich mehr Interviewanfragen (abgesehen natürlich von den 5 Tagen Redemarathon auf der Buchmesse (oder waren es gar 6?).) Bei den Lesungen war und ist seitdem mehr Publikum als sonst.
Der Buchpreis bringt Stress und Aufmerksamkeit. Für Mora kein Problem. Vor der Gefahr danach in ein Loch zu fallen, gar eine Schaffenskrise zu erleiden, hat sie das preisgekrönte Werk bewahrt.
Das ist mit das Beste an gerade vollendeten Büchern: sie bescheren einem einen einige Monate wirksamen „Nestschutz“, so dass einen „weltliche“ Ereignisse nicht so beeindrucken können, dass man aus dem Gleichgewicht geraten müsste. (Man = diesmal: ich.)
Caterina von Schöne Seiten hat unterdessen bei der Sprecherin der Buchpreisjury nachgehakt. Claudia Kramatschek ist sich des Spagats zwischen Kunst und Kommerz durchaus bewußt, aber das halte der Buchpreis aus, allen Unkenrufen zum Trotz:
Auch das Medium Buch selbst wird seit Jahren für tot erklärt und hat bis dato doch allen Anstürmen widerstanden. Kunst sollte sich nicht an den Kommerz verraten, aber ohne Kommerz – was im Falle eines Buches erst einmal heißt, dass es sich verkauft – kann auch die schönste Kunst, die schönste Literatur nur schwerlich überleben.
Wir verschaffen uns Gehör
Das Literaturradio Bayern, eine Initiative des Freien Deutschen Autorenverbandes (FDA), stellt den Buchpreisbloggern Sendezeit für ausgewählte Beiträge zur Verfügung. Noch ist ein wenig offen, wie und in welchem Umfang wir das Audio-Angebot nutzen werden, aber wir danken schon jetzt, dass uns weitere Kanäle für die Diskussion um den Preis, die Romane und die momentane Verfassung der deutschsprachigen Literatur geöffnet werden. Uwe Kullnick erwartet »ein Projekt mit Potential« (was sich noch beweisen muss). Und in einer kleinen Reportage vorgestellt wurde bereits der Kaffeehaussitzer Uwe Kalkowski. (Fortsetzung folgt.)
Eine persönliche Beichte nach einem Blick ins Archiv
Auf der offiziellen Website des Deutschen Buchpreises, das als Tipp, lädt das Archiv der vergangenen Preis-Jahrgänge zum ausgiebigem Stöbern ein. Sortiert nach Longlist, Shortlist und Siegertiteln ist umfangreich dokumentiert, was die Jury wann wie entschieden hat. Höchst unterhaltend und aufschlussreich ist es, dort die eigenen Lektüreerfahrungen abzugleichen. In meinem Fall, ich gestehe es unumwunden, führte das zu einem desaströsem(?) Ergebnis. Von den Siegertiteln hat mich in den vergangenen Jahren kaum einer wirklich interessiert, geschweige denn gefesselt. Auf der Shortlist habe ich jedoch immer (einige) Bücher gefunden, die mich persönlich weit mehr angesprochen und auch literarisch überzeugt haben. Nur ein Beispiel: anders als Uwe (s.o.) hat mich Kruso wenig begeistert, vielleicht weil ich des Themas DDR (ein Thema, das beim Buchpreis übrigens eine erstaunliche Dominaz hat) etwas überdrüssig bin. Pfaueninsel von Uwe Hettche erschien mir 2014 sprachlich und konzeptionell weitaus gelungener und ist auch heute noch mein ganz persönlicher, heimlicher Sieger des vergangenen Jahres. Meine noch geheime Buchpreisbeichte, liebe Gemeinde, werde ich am kommenden Wochenende in einem ausführlichen Bekenntnis coram publico ablegen. Versprochen!
Ach, und falls es Leserinnen und Leser geben sollte, die noch nicht wissen, wer und was Die Buchpreisblogger sind, bitte hier unsere Kurzvorstellungen lesen oder die offizielle Pressemitteilung (PDF) herunterladen.