Generationen und Kontinente – Die Unamerikanischen von Molly Antopol
Es ist verblüffend. Die Vereinigten Staaten von Amerika bringen immer wieder neue, großartige Schreibtalente hervor. Vielleicht wird jenseits des Atlantiks das literarische Schreiben und Erzählen mehr als Handwerk begriffen, als hier bei uns im »Alten Europa«. Creative Writing, in Deutschland gerne verpönt und belächelt, gehört in den USA an vielen höheren Schulen und Universitäten zu den […]
The End of the Tour – David Foster Wallace und ein umstrittenes Filmprojekt
Ein Film über David Foster Wallace sorgt für Diskussionen. Schon als das Projekt bekannt gegeben wurde, rumorte es lautstark im Feuilleton, bei den Nachlassverwaltern und bei der Fangemeinde im Netz. Im Januar erlebte The End of The Tour seine Premiere beim Sundance Film Festival und wurde wohlwollend, von einigen auch sehr positiv aufgenommen. Erste Kostproben […]
Der Fluch des Grindwals – Vater und Sohn unterwegs
Ein Roman, so karg und einfach wie der Schauplatz seiner Handlung. Die Natur auf den Färöerinseln, jener sturmumtosten Inselgruppe im Atlantik, ist schroff, rau und unwirtlich, und das Leben dort ist hart, sehr hart und entbehrungsreich. Davon erzählt Heđin Brú in Vater und Sohn unterwegs und von Zeiten des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruchs. Alte Traditionen […]
Es braucht keine große Geste um zu verschwinden – Geschichten von Ulrike Almut Sandig
Ulrike Almut Sandig erzählt vom Verschwinden. Vieles kann verschwinden. Menschen, Freundschaften, Erinnerungen, Pflanzen, Tiere, ganze Kontinente. Aber das ist nicht tragisch. Denn nichts verschwindet wirklich ganz, solange davon erzählt und solange davon gelesen wird. Wo etwas verschwindet, bleibt kein Vakuum, sondern Neues rückt nach, drängt in die Leerstellen und nimmt gleichsam letzte verbliebene Spurenelemente des […]
Lucky Newman – Carl Nixon schreibt einen Roman über das Erzählen und Erinnern
Also, diese Besprechung könnte ich ganz kurz machen. Besispielsweise so: »Kauft und lest dieses Buch, es ist umwerfend gut.« Das wäre ein kurzer Text mit einer klaren Botschaft und obendrein wäre er schnell zu lesen. Ihr würdet viel Zeit sparen. Über das Buch freilich verriete er nichts, außer, dass es mir gefallen hat. Ich sollte deshalb […]
Finnegans Wake – Kunst oder Nonsense?
Heute vor 76 Jahren, am 4. Mai 1939, ist ein Buch erschienen, das sich jeder Einordnung widersetzt. Es ist ein Alltagsroman, eine Gedicht, ein hehres Epos, ein Mythos, ein Rätsel. Finnegans Wake gilt einigen als wichtigster Meilenstein der Weltliteratur im 20. Jahrhundert, andere halten es für schlicht unlesbaren Unsinn. Dieser kleine Beitrag kann (und will […]
Das Krokodil – Tausche den düsteren Fjodor gegen den lustigen Fido
Die Seele eines Russen ist düster und schwermütig, so lautet ein unausrottbares (Vor)Urteil. Und wenn es gilt den wahren Russen in der russischen Literatur zu benennen, wird ohne zu zögern meist der Name Fjodor Michailowitsch Dostojewski in den Raum geworfen. Allein die Titel seiner großen Romane lassen dies zwingend annehmen: Der Idiot, Verbrechen ud Strafe, […]
Walter Kempowski: Mit Gott hadern? Nein, er hat mich immer gut behandelt.
Eine Erinnerung an Walter Kempowski, der heute seinen 86. Geburtstag hätte feiern können. Er wurde am 29. April 1929 in Rostock geboren und verstarb am 5. Oktober 2007 in einem Krankenhaus in Rotenburg an der Wümme. Weniger als drei Monate vor seinem Tod hatte er das Kulturmagazin ttt-titel.thesen.temperamente für ein Fernsehinterview in sein Haus Kreienhoop […]
Die üble Sache – Ein früher Text von David Foster Wallace
Die üble Sache ist im »Sommer ’71 oder ’72« in das Leben von David Foster Wallace eingedrungen, da war er neun oder zehn Jahre alt. »Erstes Auftreten von depressiven Stimmungen und pathologischer Angst«, schrieb er am Ende seines Lebens in eine Zusammenfassung seiner Krankengeschichte. Die üble Sache hat ihn nicht mehr losgeslassen bis zu seinem […]
merk=würdig (II) – Wie der Vampir in die Literatur kam
Die beiden ersten Vampirerzählungen, erstmals vereint und neu übersetzt von Reinhard Kaiser. Ergänzt wird das Buch aus der Reihe C.H.Beck textura durch einen Bericht über den Schweizer Gruselsommer von 1816, als um Lord Byron, Mary und Percy Shelley und John William Polidori neben dem Vampir auch Frankenstein geboren wurde.
Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 (Zwischenstand)
Frank Witzel hat da ein wahrlich »dickes Ding« geschrieben, einen Roman mit 98 Kapiteln und insgesamt 800 engbedruckten Seiten, eine Herausforderung für den Leser, aber auch ein großes Vergnügen. Vor zwei Tagen hat Frank Witzel seinen Roman Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 in der Akademie der Künste […]
Abschied von Günter Grass
Günter Grass ist tot. Er starb am vormittag im Alter von 87 Jahren in Lübeck. Er war einer, von dem wir glaubten, er bliebe für immer. Doch nun rührt der große Mahner seine Trommel nicht mehr, er ist verstummt. Auch ich werde ihn vermissen. Wegzehrung Mit einem Sack Nüsse will ich begraben sein und mit […]
Beckett, Berlin & das Schillertheater
Samuel Beckett ist für mich eine der faszinierensten und bedeutensten Persönlichkeiten des literarischen 20. Jahrhunderts; aufmerksamen Lesern dieses Blogs dürfte das nicht entgangen sein. Deshalb kann und darf an einem Gedenktag wie dem heutigen Geburtstag des Schriftstellers, Dramatikers und Lyrikers eine kleine Hommage nicht fehlen. Im Fokus steht Becketts einzige Arbeit als Operntexter. Sie entstand […]
Funkelnde Fragmente von Emrah Serbes
Emrah Serbes, 1981 in Yalova geboren, gehört unbestritten zur ersten Garde jüngerer Schriftsteller in der Türkei. Seine Krimis um den desillusionierten Polizisten Behzat Ç. genießen in seiner Heimat Kultstatus und wurden für eine sehr erfolgreiche TV-Serie (Drehbücher von Erkan Mehmet Erdem und Emrah Serbes) adaptiert. Im vergangenen Jahr überzeugte Serbes mit dem fulminanten Erzählband junge […]
Der Löwensucher – Der grandiose Erstling von Kenneth Bonert
Wenn dieser Roman ein Wein wäre und ich ein Weinkritiker, dann könnte, nein, müsste ich schreiben: ein sensationelles Gewächs, sorgfältig ausgebaut, vollmundig und süffig. Über einer erdigen Basis liegen herbe Gewürznoten, die sich mit süßen Fruchtaromen zu einem runden Geschmackserlebnis mischen. Das erste Nippen prickelt auf der Zunge, der erste Schluck schmiegt sich an den […]
First Frame & Final Frame – Erster Satz & Letzter Satz
Dies ist kein Aprilscherz, denn die sind in der Regel selten wirklich gelungen. – Es ist nur ein kleines Spiel, ein albernes, vielleicht, aber es hat doch seinen Reiz. Ausgangspunkt war das Video First and Final Frames von Jacob T. Swinney. Aus 55 Filmen nimmt er die erste und letzte Einstellung und stellt sie nebeneinander. Einige […]
Zwischen Tradition und Moderne – Bilder aus Maramureş
Ein gutes Fotobuch erzählt eine Geschichte, manchmal sogar einen ganzen Roman, den Roman eines Lebens, eines Volkes, einer Landschaft oder alles zusammen. Maramureş von Axel Heller ist so ein Buch. Der gebürtige Rostocker hat die entlegene Bergregion im Norden Rumäniens an der Grenze zur Ukraine zehn Jahre lang regelmäßig besucht. Seine Fotografien lassen uns in […]
Abschied von Tomas Tranströmer
Tomas Tranströmer, der schwedische Dichter und Literaturnobelpreisträger, ist im Alter von 83 Jahren in Stockholm gestorben. Seine Lyrik, so die Schwedische Akademie für Literatur 2011, »verschafft uns durch ihre dichten und durchscheinenden Bilder einen neuen Zugang zur Wirklichkeit«. Tranströmer gilt als führender Literat seiner Generation in Schweden. Und das, obwohl sein Gesamtwerk in nur einem […]
Japanische Jahreszeiten – Tanka und Haiku aus dreizehn Jahrhunderten
Vollendet Schönstes auf kleinem Raum mit sparsamsten Mitteln zu gestalten, das ist der Wesenskern aller japanischer Künste. Auf dem Gebiet der Dichtung gebührt dabei dem Haiku die Krone. Drei Zeilen, siebzehn Silben, die wohl kürzeste Gedichtform der Welt. Haiku sind offene Texte. Sie fordern uns auf, sie im Erleben des Lesens zu vervollständigen. Haiku sagen […]
Was wir fürchten – Ein Spiel aus Angst, Paranoia und Kalkül
Das Leben von Georg ist bestimmt vom Wunsch nach Kontrolle und Distanz. Gleichzeitig greift eine alles dominierende Angst nach ihm, die Angst davor, die Zügel des Lebens aus der Hand geben zu müssen, manipuliert oder gelenkt zu werden. Diese Angst hat Georg geformt, er hat sich unter Schmerzen und seelischen Qualen diszipliniert, sich zu einem […]
Kleine Bilanz zur Buchmesse Leipzig 2015
Dies ist meine erste Buchmesse als Literaturblogger gewesen; kaum zu glauben, aber wahr. Drei Tage, randvoll mit Terminen, Gesprächen, neugierigem Schweifen durch die von Menschenmassen überlaufenen Hallen und vielen Eindrücken und Informationen, die noch längst nicht vollständig verdaut und verarbeitet sind. Doch eine erste, kurze Bilanz soll hier für meine Leserinnen und Leser gezogen werden. […]